High Fantasy die prickelt

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»Wahrheit & Täuschung« Band 4

Sie ist die Göttin der Wahrheit

Er ist der Daimon der Täuschung und des Betrugs

Todfeinde wider Willen

Klappentext:

Aletheia & Dolos

Ates Plan geht auf: Die Planeten Samiela und Therapia rasen aufeinander zu, ohne dass Aletheia etwas von der drohenden Gefahr ahnt.

Nun liegt es an Dolos, die Nebel des Vergessens zu vertreiben, die Morpheus’ unsichtbaren Waldplaneten vor den Augen der Göttin verbergen.

Leider verschlucken die Nebel jede göttliche Kraft, die auf sie einwirken will. Lediglich Elias menschlicher Seelengesang könnte die Sperre unterlaufen und den Planeten von innen heraus heilen.

Doch ohne Elia scheitert Aletheias Rettungsplan. Dolos bleibt nur noch die Wahl zwischen zwei gleichermaßen üblen Alternativen.

Leserstimmen:

»Da ich ein absoluter Fan der gesamten Reihe bin, habe ich natürlich sehnsüchtig auf diesen vierten Teil gewartet. Ich habe die ersten drei Teile der Reihe so klasse gefunden und sie geradezu verschlungen, deswegen waren meine Erwartungen dieses Buches betreffend enorm hoch. Aber Emilia Morgenstern hat es wieder geschafft mich erneut auf die Reise nach Philian mit zu nehmen und grenzenlos zu begeistern.« Minni28
»Ich fand den Band wieder spannend und dieses Mal stellenweise richtig emotional. Neben dem gewohnten Witz und Charme können wir uns dieses Mal auch an richtig emotionalen Szenen erfreuen, die mir teilweise sehr nahe gingen.« LadyMay

»Die Charaktere kommen auch wieder toll zur Geltung und ich liebe sie alle, selbst die böse Göttin Ate hat etwas an sich.« austrianbookie99

»Diese Reise nach Philian war wieder einmal spannend und mit etlichen Wendungen, mit denen der Leser einfach nicht rechnet und hat mal wieder gezeigt wie viel Arbeit und Fantasie die Autorin in ihr Planetensystem und ihre Bewohner steckt. Ihre Figuren stecken voller Charme und Witz und sind einfach nur liebenswert!« Ilona67
»Ich fand den Band wieder sehr spannend und aufregend, aber auch gefühlvoll und originell. Das Lesen hat von den ersten Seiten an großen Spaß gemacht, was auch an den tollen Charakteren und an dem sehr schönen Schreibstil liegt. Ich freue mich sehr darauf, wie es weiter geht und kann die Reihe nur empfehlen.« reni1950

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»Geburt einer Göttin«

den ersten Band der Philian-Reihe. So kannst du dir unverbindlich ein Bild von meinem Schreibstil machen.

Leseprobe

Kapitel 1

Dolos – Daimon der Täuschung und des Betrugs

* * *

»Verflucht, diese Göttin bringt mich noch um den Verstand! Obwohl sie tief schläft, reagiert sie doch auf jede meiner Berührungen. Genussvoll lasse ich meine Hände über ihre bloße Haut gleiten, streiche über den Schwung ihrer Hüfte, folge der Linie ihrer Brüste.

Nie zuvor hat die Welt einen solch perfekten Frauenkörper gesehen, ihr Schöpfer Prometheus hat ganze Arbeit geleistet.

Mittlerweile füllt ihr Geruch nach Schöpferkraft mein Zimmer und versetzt mich in einen Rauschzustand. Ein Duft wie das Leben selbst: wild, einem schäumenden Wasserfall gleich, herb wie grüner Tee in tropischen Wäldern und zartsüß, wie gelbe Rosen im Schein der untergehenden Sonne. Wer sollte diesem Aroma widerstehen können? Mit ihm zieht Aletheia jeden in ihren Bann, ohne sich dessen bewusst zu sein. Halb berauscht beuge ich mich über ihren nackten Leib, umschließe ihre Brustwarze mit meinen Lippen, sauge.

Aletheias Körper bäumt sich auf, wölbt sich mir entgegen. Ein Stöhnen entkommt ihren Lippen und plötzlich füllt ihre Essenz meinen Mund. Überrascht schlucke ich die Flüssigkeit herunter.

Was … war das? Ich spüre, wie Energie durch meinen Körper rauscht und von meinen ausgetrockneten Zellen hungrig aufgesaugt wird. Schöpferkraft! Seit meinem Eintreffen in Philian habe ich nicht mehr gemordet, meine Kraftvorräte sind längst aufgebraucht. Doch dieser eine Schluck enthält so viel Energie, wie ich nicht einmal durch den Mord an fünfzig Personen gewinnen könnte. Ich sauge fester.

Die Göttin reagiert sofort, verströmt sich seufzend zu mir hin, nährt mich mit ihrer Schöpferkraft, ohne es zu merken. Wie auch? Solange das Schlafmittel ihren Körper vergiftet, ist ihre Seele in Morpheus’ Reich gefangen, vor mir liegt nur ihre Hülle, ihr Körper, doch der gibt mir bereitwillig, was ich begehre.

Tja, selbst Schuld, wieso wollte sie mich auch betäuben? Obwohl wir vereinbart haben, dass wir beide in die Geschehnisse auf Samiela eingreifen dürfen, hat sie versucht, mich lahmzulegen, damit ich ihr nicht ins Handwerk pfusche. Jetzt ist sie selbst handlungsunfähig und schläft an meiner Stelle den Rausch aus. Von dieser Menge Schlafmittel wäre selbst ich zwei Tage lang ausgeschaltet gewesen, bei ihrer geringeren Körpermasse rechne ich mit mindestens vier.

Pah! Wie kann sie mich nur immer wieder derart unterschätzen? Weiß sie nicht, dass ihre pure Gegenwart genügt, um meine Libido aufschäumen zu lassen? Wie soll mir da entgehen, wenn meine Lust plötzlich gedämpft wird? Vor allem, nachdem es ihr schon einmal gelungen ist, mich mit Hilfe von Seerosensamen lahmzulegen. Ein Schluck des mit Schlafmittel durchsetzten Weines genügte, um zu wissen, was mir Aletheia da unterjubeln wollte.

Ich seufze zufrieden und stütze mich auf meinen Unterarm. Bis an den Anschlag aufgefüllt mit Schöpferkraft betrachte ich die schlafende Göttin vor mir. Ich will sie haben, mich in ihr vergraben und aller Welt verkünden, dass sie mir gehört, mir allein.

Meine Hand wandert nach unten. Sie ist feucht, und wie! Oh ja, sie begehrt mich genauso stark, wie ich sie begehre, nur mit dem Unterschied, dass sie es sich selbst nicht eingestehen will.

Mein Finger erkundet die Wärme ihrer Weiblichkeit und ich stöhne auf. Wie lange habe ich davon geträumt, bei ihr zu liegen und nun, da ich sie endlich in mein Bett tragen konnte, gehört mir nur ihre seelenlose Hülle. Wenn das nicht Ironie des Schicksals ist.

»Dolos, schnell«, tönt da Linteas Stimme in meinem Kopf. »Du musst mit dem Adler reden.«

Was ist passiert? Zögernd löse ich die Hände vom Körper der Göttin. Handelt es sich tatsächlich um einen Notfall, oder will mich die Leinwand nur weglocken? Für einen blinden Alarm lasse ich mein lustvolles Spielzeug ungern zurück, doch egal was ich jetzt fragen wollte, meine Leinwand wird darauf bestehen, dass ich runterkommen muss.

Frustriert steige ich aus dem Bett.

Welcher verfluchte Daimon außer mir ist auch schon mit einer eifersüchtigen Leinwand gestraft? Bei Linteas Erschaffung hätte ich besser darauf achten sollen, dass sie fähig ist, alle Gefühle zu erkennen, selbst aber nicht empfinden kann. Ein Fehler, der sich nun leider nicht mehr korrigieren lässt.

»Ihr passt auf Aletheia auf«, knurre ich zu den Füssen hin, die brav nebeneinander auf dem Teppichvorleger dösen, und eile aus dem Zimmer.

Schon auf der Treppe höre ich den durchdringenden Schrei eines Adlers und das Geräusch von Federn im Wind. Die omnipotente Heuschrecke aus Therapia! Seit Siman sie dazu gedrängt hat, die Gestalt eines Adlers anzunehmen, liebt sie es, in dieser Form durch die Lüfte zu schweben. Gut möglich, dass sie gerade dabei ist, ihren Auftrag zu erfüllen. Hoffnungsvoll beschleunige ich meine Schritte und sitze im nächsten Augenblick auf dem Diwan vor der Leinwand.

Wie erwartet zeigt die Bildfläche Elia auf dem Rücken des Adlers. Doch die Heuschrecke ist nicht wie befohlen auf dem Weg nach Therapia, sondern setzt gerade zum Landeanflug auf den Heiligen Platz in Zaliela an. Dabei streift sie dicht über die Häuserdächer der Versunkenen Stadt. Was tut das elende Insekt noch in Maya?

* Elia *

Wir steuern den höchsten Punkt der Stadt an. Eine riesige Freifläche, umringt von quadratischen Steinhäusern, zwischen denen Gassen in alle Richtungen abgehen. Klug von O’Schreck den Heiligen Platz zum Landen zu wählen, in den engen Straßen der Stadt würde er sich vermutlich die Flügel brechen.

Doch ich wähne mich zu früh in Sicherheit, wie mir klar wird, als mir plötzlich der Geruch von verbrannten Haaren in die Nase steigt. O’Schrecks Flügel schrammt nur wenige Zentimeter an der rosa Sonne vorbei, fängt Feuer, Flammen schlagen hoch.

Gott im Himmel, wie ungeschickt stellt sich diese Heuschrecke auch an! Mein Herz rast. Innerlich stelle ich mich schon auf eine Bruchlandung ein, da erlöschen die Flammen so plötzlich, wie sie aufgelodert sind. Vor meinen ungläubigen Augen wachsen die Federn nach.

Einen Moment später landen wir sicher auf den rauen Steinplatten des Heiligen Platzes. Erstaunlich sanft will mir scheinen, da habe ich wirklich mit mehr Schütteln gerechnet. Erleichtert springe ich ab, doch meine Knie geben nach, ich strauchle. So berauschend es ist, auf einem Adler durch die Lüfte zu sausen, so schaukelt es dennoch mehr, als mir lieb ist und der Schock tut sein übriges. Um mich dreht sich alles. Rasch schließe ich die Augen und atme ein, zweimal tief durch, das beruhigt meinen rebellierenden Magen.

Gleich darauf hüllt mich ein wohliges Gefühl ein und die letzte Übelkeit verschwindet. Ich blicke nach oben zur rosa Sonne, sie entfaltet bereits ihre Wirkung. Ein eigentümliches Ding, das gerade mal fünfzig Meter über den Steinplatten in der Luft schwebt und dessen Strahlung stark berauscht. Wer nicht aufpasst, verliert sich darin.

Da trifft mich ein heftiger Windstoß.

Ich reiße die Augen auf, taumle einige Schritte zurück. Der Adler schlägt mit den Flügeln und erhebt sich schwerfällig in die Luft. Sein Schrei hallt zwischen den Häusern der Versunkenen Stadt wider. Jetzt fliegt er zurück nach Mayami, um auch noch meinen Vater zu holen.

Mir scheint, wir sind in letzter Minute entkommen. Als ich losgeflogen bin, haben sie das Stadttor von Mayami gerade versiegelt. Der Hohe Rat will keinen mehr aus der fremdenfeindlichen Stadt fliehen lassen. Nur gut, dass sie niemanden mehr vorfinden werden, wenn sie kommen, um Amdaziels Haus zu filzen, sie hätten uns allesamt auf den Scheiterhaufen gebracht.

Dankbar schaue ich dem buntschillernden Adler nach, wie er über den Dächern der Heiligen Stadt verschwindet. Echt seltsam, dass sich diese schrullige Heuschrecke in einen Adler verwandeln kann. Dazu ihre wundersamen Selbstheilungskräfte! Wo Andi das omnipotente Tier wohl aufgegabelt hat?

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meinem Arm. »Elia, komm schnell!«, ruft Tiepa und zieht mich eilig vom Platz.

Nanu, wo ist Tiepa jetzt so plötzlich hergekommen? Überrumpelt stolpere ich hinter ihr her und versuche mich zu orientieren. Aus dem Schatten einer Gasse am anderen Ende des Platzes winkt mir Andi zu. Und jetzt entdecke ich dort auch Amina und Aslagon, die auf dem Boden sitzen. Hechelnd schaut der große schwarze Hund zu uns herüber.

Das schwebende Wohlgefühl in meinem Körper lässt nach, ich will umkehren, doch Tiepa zerrt mich hektisch weiter. Plötzlich wird mir klar, warum sie das tut und ich entziehe ihr energisch meinen Arm.

»Lass mich los! Ich komme durchaus allein klar.«

Tiepas Blick huscht zu Sonne und dann zu mir. »Sicher ist sicher«, murmelt sie und greift erneut zu. »Wir wollen deine Persönlichkeit doch nicht wieder erweichen, Elia, oder?«

Da wehre ich mich nicht länger. Bei mir benötigt es keinen sonnenbedingten Drogenrausch, damit ich alles verliere, was ich Tiepa entgegensetzen könnte, ein Blick von ihr genügt da schon. Kein Zweifel, ich brauche Razon[1]. Eigentlich benötige ich ständig Razon, wenn ich in ihrer Nähe bin. Als meine willenserweichende Sonne fungiert eindeutig Tiepa, nicht die rosa Sonne über dem Heiligen Platz. Das Blau ihrer Augen macht mich schwach, eine Tatsache, die ich lieber für mich behalte.

Wir erreichen den Rand des Heiligen Platzes und schlendern auf die anderen zu. Hier außerhalb der Gefahrenzone lässt Tiepa meinen Arm los und berichtet, dass Aslagon ein Haus gefunden hat, in dem wir wohnen können. »Ich habe es auch noch nicht gesehen, wir wollten auf dich und Siman warten. – Wie war dein Flug?«

»Fast so toll wie ein Kuss von dir«, sage ich, bleibe stehen und lächle zu ihr hinunter. »Um den genauen Vergleich zu haben, müsste ich allerdings noch einmal …« Ich beuge den Kopf, doch sie weicht erschrocken zurück.

»Nicht hier!«, zischt sie. »Das mache ich dann doch lieber heute Abend in einer dunklen Nische, wenn niemand zuschaut.«

Ach ja? Grinsend richte ich mich auf. »Wer hätte gedacht, dass du solch verruchte Fantasien hegst? Oder hat das etwa was mit deinem geheimnisvollen Freund zu tun, von dem mir Andi erzählt hat?«

»Diese alte Plaudertasche!« Tiepa grinst. »Ich habe ihm nichts von uns erzählt. Es wäre ein Schock für ihn gewesen, wenn ich ihm verraten hätte, dass ich ausgerechnet seinen besten Freund liebe.«

»Das wirst du kaum länger vor ihm geheim halten können, jetzt, da ich zurückgekehrt bin. In solchen Dingen lässt sich Andi nicht täuschen, Herzensangelegenheiten sind sein Spezialgebiet.«

»Tatsächlich?« Tiepa lacht und drückt meinen Arm. Wir setzen uns in Bewegung. »Bis jetzt hat er keinen Verdacht geschöpft, glaube ich. Ach, Elia, ich freue mich so auf die gemeinsame Zeit mit dir, hier in Zaliela, weit weg von meinen Eltern.«

»Oho, du hast doch aber nicht etwa unanständige Sachen mit mir vor?«

Tiepa grinst. »Kommt darauf an, was du unter unanständig verstehst. Ganz sicher habe ich nicht vor, die Nächte einsam in meinem Bett zu verbringen.«

Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag in unvernünftiger Weise, ich drücke ihre Hand. »Meine Zimmertür wird dir immer offen stehen. Diese Nacht habe ich mir ja das Bett mit Andi teilen müssen, und der fand es gar nicht lustig, als ich heute Morgen verschlafen das Bein um ihn geschlungen habe.«

»Du hast mit Andi gekuschelt?«, giggelt Tiepa. »Muss ich jetzt etwa eifersüchtig werden?«

»Natürlich habe ich meinen Irrtum sofort gemerkt, aber er bestand darauf, dass ich an ein Mädchen gedacht haben musste, als ich ihn an mich zog.«

Tiepa lacht herzhaft.

Da taucht Andi neben uns auf. Auf seinem blonden Haar tanzen die Lichtreflexe der rosa Sonne und lassen es noch heller erscheinen als sonst. »Darf ich auch mitlachen?«, fragt er neugierig.

Bei seinem Anblick prustet Tiepa erst recht los.

Fragend sieht Andi von ihr zu mir, doch ich zucke mit den Schultern. »Mädchen! Die sind halt so.«

Jetzt muss Tiepa noch mehr lachen. Sie hält sich den Bauch. Grunzend legt sie Andi den Arm auf die Schulter. »Lachen darfst du. A…haber nach dem Gru…hund fragen, darfst du … nicht.«

»Wieso nicht?«, fragt Andi verblüfft.

»Weil es stre-heng gehei-eim ist«, stößt Tiepa lachend hervor, lässt uns stehen und läuft in die Gasse, in der Aslagon bereits schwanzwedelnd auf uns wartet.

Andi wirft mir einen hilflosen Blick zu, bekommt aber nur ein gutmütiges Kopfschütteln zur Antwort.

»Tiepas Geheimnis, nicht meins«, murmle ich und folge meinem Mädchen.

Dolos – Daimon der Täuschung und des Betrugs

* * *

»Kann mir vielleicht mal jemand erklären, wieso sich die alle plötzlich nach Zaliela abgesetzt haben?«, knurre ich.

»Das hätte ich längst getan«, gibt Lintea gereizt zurück. »Aber du musstest den Morgen ja mit dieser Göttin in deinem Bett verschwenden.«

»Dein Missfallen ist inzwischen bei mir angekommen, Lintea, beantworte meine Frage!«

Die Leinwand grummelt. »Sie mussten die Feuerländer aus der Stadt bringen.«

»Gut, zeig mir das, doch zuvor will ich ein Wörtchen mit der Heuschrecke reden. Stelle eine Verbindung her!«

Fragend dreht der Adler den Kopf, als er auf der Leinwand erscheint. Im Flugwind zittern die Federn um seinen Schnabel.

»Warum hast du deinen Auftrag nicht ausgeführt?«, frage ich streng.

»Das hätte ich ja gern«, krächzt der Vogel, »aber Siman bestand darauf, dass er als Letzter fliegen will. Ausgerechnet ihn kann ich ja wohl kaum in der Stadt zurücklassen, er wäre schließlich der Erste, den sie auf den Scheiterhaufen zerren.«

»Glaub ihm nicht, Meister«, flüstert Lintea, »er sucht nur nach einer Ausrede. In Wirklichkeit will er sich einfach nicht von Andi trennen.«

Als ob das nicht auf der Hand läge, ich verdrehe die Augen. »Du rettest also Siman«, knurre ich den Adler böse an. »Und wann, bitte schön, willst du deinen Auftrag erfüllen? Glaub bloß nicht, dass sich Elia noch einmal freiwillig auf deine Federn schwingen wird.«

Keine Antwort.

Ich beiße die Zähne aufeinander. Simans Wunsch, als letzter fliegen zu wollen, bereitet mir Sorge. Hat er etwa Lunte gerochen und versucht, Elia zu schützen? Das würde O’Schrecks Auftrag zusätzlich erschweren.

»Uns rennt die Zeit davon, Heuschrecke! Wenn Aletheia den Kollisionskurs Therapias nicht bald erkennt, werden die Planeten in spätestens einem Monat aufeinanderprallen. Dann ist Andi tot, samt allen anderen Bewohnern Samielas. Willst du das?«

Der Adler seufzt. »Ich sehe ja ein, dass der Planet sichtbar werden muss. Aber warum muss es unbedingt Elia sein, der die Nebel des Vergessens vertreibt? Das kann doch auch Andi tun. Ihn nach Therapia zu bringen wäre sehr viel einfacher.«

»Hast du zu viel Nebel geschluckt?«, frage ich böse. »Wenn du dich an Zahurs Skieptro vergreifst, kannst du die Planeten auch gleich zusammenstoßen lassen. Das bekäme diesem Sonnensystem immer noch besser als Zahurs Zorn.«

»Schon gut, schon gut«, mault der Adler. »Hauptsache, du machst mir das Leben schwer.«

»Wenn ich anfange, dir das Leben schwer zu machen, Heuschrecke, fliegst du nicht mehr durch die Lüfte«, entgegne ich drohend und wische sein Bild mit einer Handbewegung fort.

Verfluchtes Insekt, jetzt haben wir Zeit verloren. Zeit, die Elia benötigen wird, um seine Mission zu erfüllen.

Ich springe auf und eile zur Tür. »Behalte ihn im Auge, ich will über all seine Schritte informiert sein.«

»Das tue ich, aber … Meister?«

Ich halte inne. »Was?«

»Vielleicht ist es doch klüger, Andi für diese Mission zu bestimmen? Zwar kann nur Elias Seelengesang die Nebel des Vergessens vertreiben, aber Andi trägt Sulahs Medaillon und verfügt damit ebenfalls über den Gesang. Dazu ist er ein Tifferrosch und versteht es wie kein anderer, die Macht der Liebe zu nutzen. Bei ihm besteht keine Gefahr, dass er sich der Prinzessin verweigern könnte, sein Herz ist noch frei.«

»Andis Herz ist mitnichten frei«, fauche ich die Leinwand an. »Er ist genauso in Tiepa verschossen wie Elia. Zusätzlich jedoch trägt er die Zeit der Erde in sich. Was meinst du wohl, was passiert, wenn ausgerechnet Andis Liebe Morpheus’ Tochter befreit?«

Lintea druckst herum. »Der Nebel wird … verschwinden?«

»Allerdings, nur dass Andi den Planeten dabei in den Zeitstrom der Erde reißen wird. Und flutsch, fort ist er.«

»Na und?«, gibt Lintea trotzig zurück. »Dort kann Morpheus’ Planet fröhlich weiter auf seiner Umlaufbahn durchs All sausen, ohne jemals in Gefahr zu geraten, mit einem anderen Planeten zusammenzustoßen. Ist doch genial.«

»Klar, so genial, dass mich Aletheia dafür mit einem Blitzhagel grillen und Morpheus mich jede Nacht im Schlaf meuchelmorden wird. Danke, da bleibe ich doch lieber bei Elia.«

»Aletheias Blitz wirst du so oder so zu schmecken bekommen«, gibt Lintea eingeschnappt zurück. »Irgendwann wird sie rauskriegen, dass du die Entführung von Elia arrangiert hast, dann wird sie dich in einen löchrigen Käse verwandeln. Und weißt du was? Zu recht! Hat sie es nicht gerade mit Müh’ und Not geschafft, Tiepas Todesurteil abzuwenden[2]? Und da kommst du und verurteilst ihr Tränenkind erneut zum Untergang. Besser kannst du Aletheias Rettungsplan nicht ächten.«

»Ächten?« Ich schnaube. »Besser Aletheias Tränenkind stirbt als ihr ganzer Planet. Wenn sie Tiepa unbedingt braucht, soll sie sich halt ein neues Tränenkind heranzüchten.«

»Weil das auch so einfach ist«, murrt die Leinwand. »Aber klar, geh nur, vergnüg’ dich mit deiner Göttin und lass mich hier allein die Welt retten! Wer braucht denn schon einen liebesgeilen Daimon?«

Ruckartig bleibe ich stehen. »Was hast du da soeben gesagt, Leinwand?«

»Pah«, stößt Lintea böse hervor, doch es klingt schon viel kleinlauter als zuvor und ein roter Punkt beginnt rechts oben zu blinken. »Du brauchst es nicht zu leugnen. Ich habe durchaus gerochen, was du da an deinem Finger hast.«

Gerochen? Ich sehe auf meine Hände, schnuppere daran. Tatsächlich, da ist noch ihr Duft. »Ich habe etwas von ihr«, rufe ich aufgeregt, wirble herum und stehe im nächsten Augenblick vor der Leinwand. »Hier, nimm und verschaff dir Zugang zu Aletheias Gedankenraum.« Die Vorstellung, endlich Antwort auf all meine Fragen zu bekommen, beflügelt mich.

»Igitt, kannst du mir nicht etwas Angenehmeres bringen?«, keift Lintea und bunte Farbkleckse explodieren auf ihrer Oberfläche.

Ich halte mir den Finger erneut unter die Nase. »Schöneres als den Duft dieser Göttin kann es gar nicht geben. Was gäbe ich darum, wenn –«

»Schon gut«, schimpft Lintea, »ich will es nicht wissen.« Dennoch erscheint jetzt ein Schlitz in ihrer makellosen Leinwandoberfläche.

Ich stecke meinen Finger hinein, ein schmatzendes Geräusch ertönt und dann ein überraschtes »Oh!«

»Was ist?«, frage ich rasch. »Was hast du herausgefunden?«

»Ihr genetischer Code ist noch komplexer, als ich gedacht habe. Ich werde einige Stunden benötigen, um ihn zu knacken.«

»Aber es wird dir am Ende doch möglich sein, oder?«

»Natürlich«, gibt Lintea selbstbewusst zurück. »Immerhin bin ich dein Geschöpf, unsereins gibt niemals auf.«

»Ja!« Ich stoße meine Faust in die Luft und taste mich breit grinsend rückwärts bis zu meinem Diwan, den Blick dabei unverwandt auf die Leinwand gerichtet.

Einige Minuten herrscht Totenstille, dann zetert die Leinwand drauflos: »Wenn du mich die ganze Zeit anstarrst, kann ich nicht arbeiten. Schau gefälligst wo anders hin!«

Verflixt, sie weiß auch nicht, was sie will. Immer beklagt sie sich über mangelnde Aufmerksamkeit und wenn ich sie dann mal anschaue … Ich springe auf, »Also gut, ruf mich, wenn du fertig bist«, und bin schon aus dem Raum.

»Halt, wo willst du denn hin?«, kreischt Lintea hinter mir her. »Du wolltest doch noch wissen –«

»Ja?«, frage ich hoffnungsvoll und strecke den Kopf wieder durch die Tür. »Was wollte ich noch wissen?«

»… wie die Gruppe nach Zaliela kam.«

Mist, und ich hatte gehofft, sie wolle mir verraten, was sie bereits herausgefunden hat.

»Ich dachte, du kannst nicht arbeiten, wenn ich dich anschaue?«

Lintea schnaubt. »Das bisschen Gedächtnislesen bekomme ich auch noch nebenbei hin. Aber wenn du mir Löcher in die Leinwand starrst …«

Mir scheint eher, sie kann den Gedanken nicht ertragen, dass ich mich erneut mit Aletheia vergnügen will. Grinsend lasse ich mich auf den Diwan fallen. »Schon gut, Süße, spiel!«

»Süße?« Ein rosa Schimmer huscht über die Leinwand, dann bemalt sie sich und ein Bett erscheint. Durch das Fenster leuchten die ersten Sonnenstrahlen des Morgens.

* Elia *

Als ich am nächsten Morgen erwache, spüre ich Tiepa neben mir. Sofort schlinge ich mein Bein um sie und ziehe sie näher zu mir heran.

»Hey, was soll das?«, beschwert sich eine brummige Stimme.

Ich reiße die Augen auf und weiche entsetzt zurück. »Andi! Was machst du denn hier?«

Ein zweifelnder Blick trifft mich.

»Du hast mich gestern Abend in dein Bett eingeladen, erinnerst du dich?«, sagt Andi schließlich in dem Tonfall, in dem er für gewöhnlich mit seiner demenzkranken Großmutter redet.

Oh, jetzt da er es sagt, meine ich mich dunkel erinnern zu können, seine Stimme im Halbschlaf gehört zu haben. Aber das erklärt noch lange nicht, wieso ich mich plötzlich wieder auf der Erde befinde. Gestern noch habe ich in Maya um Tiepas Leben gekämpft und heute bin ich im Haus meiner Mutter? Wie ist das möglich? Und warum überhäuft mich Andi nicht mit Vorwürfen? Sollte er jetzt nicht fragen, wo ich die ganze Zeit gesteckt habe?

Nun, vermutlich haben wir die Diskussion zu diesem Thema schon in der Nacht hinter uns gebracht, nur dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Noch jetzt steckt mir die Erschöpfung des gestrigen Tages in den Knochen.

»Du hast gedacht, ich sei jemand anderes«, stößt Andi hervor und mustert mich misstrauisch.

Der Himmel steh mir bei, jetzt fängt er schon wieder mit dieser Geschichte an! Wüsste ich es nicht besser, könnte ich glatt auf die Idee kommen, er sei eifersüchtig, weil er stets zu verhindern sucht, dass ich ein Mädchen küsse. Zum Glück weiß ich, dass Andi keineswegs schwul ist, ich kann die Mädchen kaum zählen, denen er schon das Herz gebrochen hat. Wieso stört es ihn also, dass ich mittlerweile ebenfalls auf den Geschmack gekommen bin?

Eilig wickle ich mich aus der Decke, in die mich mein Vater gestern gehüllt hat, und springe aus dem Bett. Maya hat gelogen, es gibt durchaus einen Weg zurück zur Erde, mein Vater kannte ihn. Aber wieso hat er mich zurückgebracht?

Andi richtet sich im Bett auf. »Du hast gedacht, ich sei ein Mädchen!«

»Unsinn!«, stoße ich genervt hervor, öffne den Kleiderschrank und hole mir eine Unterhose heraus. Gerade habe ich wirklich größere Sorgen, als Andis Eifersuchtsgeschichte. Meine Rückkehr zur Erde bereitet mir einige Probleme.

Wie soll ich meine lange Abwesenheit auch erklären? Und wie, dass ich wieder gehen muss? Schließlich kann ich Tiepa nicht allein zurücklassen, ich habe mich ihr versprochen.

»Doch, natürlich«, knurrt Andi und bedenkt meine nackte Gestalt mit einem überraschten Blick. »So, wie du mich angefasst hast.«

»Es war ein Versehen«, knurre ich, schlüpfe in die Unterhose und hole mir eine Jeans aus dem Schrank.

Ob mein Vater Tiepa erzählt, dass er mich auf die Erde zurückgebracht hat? Andernfalls wird sie mich lynchen, weil ich ohne ein Wort gegangen bin.

»Das war sicher kein Versehen!«, beharrt Andi. »Du bist schon öfter neben einem Mädchen erwacht. Vermutlich neben der feurigen Prinzessin aus Naarija, immerhin warst du lange genug weg, um dich in ihr Bett zu stehlen.«

Amina? Entgeistert starre ich meinen Freund an. Woher weiß Andi von meiner Mission in Feuerland? Habe ich ihm gestern etwa alles im Halbschlaf erzählt?

Verwirrt runzle ich die Stirn. Die Sonne scheint bereits ins Zimmer, ein herrlicher Morgen, ich schaue durchs Fenster. Grüner Himmel?

Oh, dann befinde ich mich also doch nicht auf der Erde, sondern noch immer in Maya und Andi ist es, der durch die Zeiten gereist ist! Aber wie ist er hierher gekommen?

»Okay, die Prinzessin war es also nicht«, knurrt Andi und zieht seine Stirn in Falten. »Dann muss es Tiepa sein.« Seine Augen verengen sich, alles Freundliche weicht aus seinem Blick. »Sag bloß, du bist der geheimnisvolle Freund, den sie noch nicht bekannt geben will!«

»Sie hat einen geheimen Freund?«, frage ich halb belustigt, halb verunsichert und ziehe mir ein T-Shirt über den Kopf. »Davon hat sie mir gar nichts erzählt.«

Andis Miene verdunkelt sich zusehends. »Wenn du der Kerl bist, der sie sitzen gelassen hat, dreh ich dir den Hals um!« Jetzt springt er aus dem Bett und funkelt mich so wütend an, dass ich unwillkürlich zurückweiche.

»He, Kleiner, ist dir die Reise durchs Wurmloch nicht gut bekommen?«, frage ich verunsichert und mustere seine verknitterte Erscheinung. Ich meine, wie geschädigt muss ein Kerl auch sein, wenn er sich plötzlich in ein Kleid hüllt?

Andi sieht mich schweigend an, doch ich höre seine Gedanken in meinem Kopf. Natürlich ist er der abwesende Freund, schließlich hat sie immer wieder von ihm erzählt. Scheiße, da hätte ich wohl auch selber drauf kommen können. Für einen Wasserländer würde Tiepa kaum so viel Begeisterung aufbringen. Aber ich verstehe nicht, wieso sie ihn mir vorzieht. Schöner als ich ist er nicht, sportlicher auch nicht und intelligenter erst recht nicht.

Echt herb zu hören, welch vernichtende Bilanz mein bester Freund da soeben über mich zieht! Dabei scheint es ihn nicht zu stören, dass ich seine Gedanken höre. Die typischen Anfangsschwierigkeiten in Maya eben, mit denen hatte ich auch zu kämpfen. Mittlerweile verstehe ich es aber ganz gut, meine Gedanken abzuschotten.

»Nicht, dass du irgendwie von dir voreingenommen wärst, Andi, oder?«, frage ich und grinse ihn frech an.

»Unterschätze mich nicht«, faucht Andi, »das hat noch niemandem gut getan.«

Du meine Güte, was ist denn nur in den gefahren? Sonst ist er doch auch nicht so launisch. Jetzt steht er gar mit geballten Fäusten vor mir und seine Stimme klingt gepresst.

»Ich bin dein Freund, Elia, und als dein Freund sage ich dir ganz offen und ehrlich, dass ich in Bezug auf Tiepa keinerlei Rücksicht auf dich nehmen werde.«

»Inwiefern?«, frage ich verblüfft und schlüpfe in Socken und Turnschuhe.

»Wenn ich Tiepa für mich gewinnen kann, werde ich nicht davor zurückschrecken, nur weil du sie ebenfalls begehrst.«

»Oh la la, da ist aber jemand schwer verliebt«, spotte ich, doch in meinen Eingeweiden zieht sich alles zusammen. Andis Charme ist unwiderstehlich. Bis jetzt hat er noch jedes Mädchen rumgekriegt, warum sollte Tiepa da eine Ausnahme darstellen?

Natürlich hat sie sich mir versprochen, aber ich war lange weg und sie hat damit rechnen müssen, dass ich nicht zurückkomme. Wäre es da ein Wunder, wenn sie Andis Werben nachgegeben hat?

Plötzlich muss mein Herz gegen einen ungeheuren Druck in meiner Brust ankämpfen. Was, wenn Tiepa mir Andi nun vorzieht? Das … das würde ich nicht überleben. Ich liebe sie, sie ist meine Bestimmung. Andi darf sie mir nicht wegnehmen.

Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mich wirklich freue, meinen Freund hier zu sehen.

»Du weißt ja nicht, was du ihr angetan hast«, knurrt Andi. »Und sie schützt dich auch noch!«

»Ich habe ihr nichts angetan«, fauche ich und stecke das T-Shirt in die Hose. »Oder hat sie sich etwa bei dir über mich beklagt?«

Andi starrt mich wortlos an, der Druck in meiner Brust verstärkt sich, ich ringe nach Atem. »Seid ihr euch in letzter Zeit nähergekommen?«, presse ich hervor und wage es dabei nicht, ihn anzusehen.

»Du meinst, so nahe, wie du ihr gekommen bist?«, gibt Andi scharf zurück.

Überrascht blicke ich auf. Sehe ich da etwa Eifersucht in seinen Augen blitzen? Dann hat Tiepa ihn also doch ablaufen lassen, dem Himmel sei Dank!

»Keine Sorge Andi«, sage ich erleichtert. »Amdaziel will mich genauso wenig zum Schwiegersohn haben wie dich. Er hütet Tiepa wie seinen Augapfel.«

Doch mein Ablenkungsversuch schlägt fehl, Andis Stimme klingt noch härter als vorher. »Hast du jetzt bei ihr im Bett gelegen?«

Ich seufze. »Was willst du von mir hören, Andi? Wo ich schon überall mit ihr gelegen bin? Nun, zum Beispiel auf den Steinen am See und auf den Holzdielen der geheimen Kammer. Sogar im Schnee haben wir uns einmal gewälzt, weil sie mich mit ihren verhexten Schneebällen aus den Latschen geschossen hat und ich sie zur Strafe zu Boden reißen musste.«

»Du weichst mir aus«, grollt Andi, »doch das nützt dir nichts. Ich werde herausfinden, was sie für dich empfindet.«

»Bitte sehr, das kannst du gerne prüfen«, sage ich mit einem Schulterzucken. »Vergiss nur nicht, mich das Ergebnis deiner Forschung wissen zu lassen. Wenn ich Chancen bei ihr habe, will ich sie gewiss nicht ungenutzt verstreichen lassen.«

Andi antwortet nicht, starrt stattdessen aus dem Fenster. Ich höre seine Gedanken. Fuck, was will ich da noch lange forschen? Ich weiß es doch längst.

»Was weißt du längst?«, hake ich alarmiert nach.

Andi fährt zu mir herum. »Sie spürt es, wenn du in Gefahr bist. Gestern war sie außer sich, als ich in der Tür mit ihr zusammengestoßen bin. Sie hat etwas von ›Elia‹ und ›MachschawanGaslan‹ gefaselt. Dann ist sie in Ohnmacht gefallen.«

Augenblicklich erobert ein warmes Kribbeln meinen Bauch, beweist Andis Erzählung doch, dass das Band zwischen Tiepas und meiner Seele bereits geknüpft ist. Zart und keineswegs unzerstörbar, aber es existiert und das fühlt sich verdammt gut an.

Dennoch sollte ich Andis dahingehende Vermutung nicht bestätigen, sonst verstärkt er seine Bemühungen um Tiepa womöglich noch.

»Ach Unsinn!«, sage ich daher. »Woher sollte sie gewusst haben, was mir widerfahren ist? Und überhaupt  – woher weißt du von der Begegnung mit dem MachschawanGaslan?«

»Na hör mal«, entrüstet sich Andi. »Ich habe dich immerhin aus den Klauen dieses Räubers befreit.«

»Du hast … was? Du willst doch wohl nicht sagen, dass du das in diesem fliegenden Käfig warst, oder?«

Andi springt auf und deutet eine spöttische Verbeugung an. »Gestatten: Luftfahrtskapitän seiner königlichen Käfigflotte – Andreas Harding.«

Ich grinse und ziehe Andi an meine Brust. »Das war eine großartige Rettungsaktion. Sicher rennt dieser blöde Schnüffler immer noch über die Lichtung und sucht nach uns. Danke Andi, du hast meinem Vater und mir das Leben gerettet.«

»Klar doch.« Andi lacht und befreit sich aus meiner Umarmung. »Deswegen bin ich schließlich hergekommen.«

»Genau «, rufe ich und ziehe ihn mit mir zum Schreibtisch. »Wie hast du den Sprung nach Maya geschafft? Erzähl doch, alter Knabe! Ein Spaziergang ist es ja nicht gerade bis hierher.«

Ich setze mich auf die Platte, schiebe ihm den Stuhl mit meinem Fuß zu und stutze. Eine Jacke hängt über der Stuhllehne. Andis alte Lieblingsjacke! War ja klar, dass mein Freund die Möglichkeiten dieses Landes sofort nutzen würde, um sich seine braune Wollstrickjacke zurückzuwünschen. Die hat er geliebt und so lange getragen, bis sie völlig schäbig und abgewetzt war. Seine Mutter hat sie heimlich entsorgt, worüber Andi so erbost war, dass er wochenlang nicht mehr mit ihr gesprochen hat. Keine Ahnung, was er an dem kratzenden Ungetüm so toll findet, ich würde es nicht für hundert Euro anziehen.

»Mensch Andi, ich dachte, ich sehe dich nie wieder«, sage ich und grinse breit.

Andi lässt sich auf den Stuhl plumpsen und legt die Füße neben mich auf die Tischplatte. »Schieß los, was willst du wissen?«

»Na alles natürlich!«

Da erzählt er von seiner Begegnung mit meiner Mutter, von dem Warten am Weiher und von Sulah, der Nixe.

»Wie geht es meiner Mutter?«, frage ich leise.

»Sie sah gut aus. Ich glaube, sie hat sich mittlerweile mit deinem Verschwinden abgefunden.«

Ich betrachte meine Schuhspitzen. »Im Teich wohnt also eine Nixe und die hat mit dir gesprochen?«

Andi nickt. »Sie ist ziemlich gruselig.«

»Hat sie nichts Weiteres zu der Mission erklärt, die ich zu erledigen hätte?«

»Sie ließ nur durchblicken, dass du deinen Planeten retten musst und dass deine Mission auf Messers Schneide stünde.«

»Dann hat sie die Befreiung meines Vaters gemeint. Er wird den Planeten retten, nicht ich.«

Sofort springt Andi auf und greift nach dem Rucksack, der zu seinen Füßen steht. »Damit hast du deine Mission ja bereits erfüllt und wir können nach Hause gehen.«

Nach Hause? Ich starre ihn an. Bis vor Kurzem habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als zur Erde zurückkehren zu können, aber nun? Mittlerweile weiß ich, dass ich hierher gehöre. Nur in dieser Welt kann ich frei atmen und ohne Kopfschmerzen leben, hier bin ich bei meinem Vater, bei Tiepa.

»Du willst nicht«, bemerkt Andi befriedigt.

»Willst du denn?«, frage ich zurück.

»Nö.« Er grinst und stellt den Rucksack ab. »Wir haben auch keine Zeit dazu, zuerst müssen wir noch den Kopf deines Schwiegervaters retten.«

»Amdaziel?«, rufe ich erschrocken. »Den habe ich gestern gar nicht mehr gesehen. Was ist mit ihm passiert?«

»Ha!«, feixt Andi. »Amdaziel als deinen zukünftigen Schwiegervater akzeptieren, aber mir vormachen, du hegtest keine Gefühle für Tiepa!«

Beim Blick in sein breit grinsendes Gesicht wird mir klar, dass ich soeben in seine Falle getappt bin. Hinterhältiger Kerl!

Andi seufzt. »Na ja, ich hätte auch an deinem Verstand zweifeln müssen, wenn du ihrer Schönheit nicht erlegen wärst. Aber dass du gleich mit ihr geschlafen hast …?« Er ballt die Hände zu Fäusten und wendet sich abrupt ab. Seine Stimme klingt gepresst. »Es gibt eine Verschwörung im Hohen Rat. Amdaziel wird eine Besprechung abhalten wollen, nun, da ihr zurück seid.« Er geht zur Tür.

»Ähm, Andi«, sage ich rasch. »Willst du wirklich so gehen?«

Andi stutzt, schaut an sich herunter, grinst und entledigt sich Tiepas Kleid in einer Geschwindigkeit, die ich bisher für unmöglich gehalten habe. Im nächsten Augenblick denkt er sich Hose und T-Shirt an den Leib, wirft sich die olle Jacke über und öffnet die Tür. »Komm jetzt, Elia. Sie warten sicher schon auf uns.«

* Andi *

Der Duft von Kaffee und frischgebackenem Fladenbrot umweht uns, als wir in die Halle treten. Elias erdachte Sonne ist uns gefolgt, strahlt nun durch das spitze Glasdach und erweckt die Halle zu ungewohnt leuchtenden Farben. Beeindruckt nehme ich das veränderte Ambiente des Raumes wahr.

Die dunklen Türen, die sich rechts und links an den Seitenwänden aneinanderreihen und nur wenig Platz für die pastellgrüne Wand dazwischen lassen, der dunkelblaue Tisch, die blaugemusterten Holzbänke … alles wirkt noch einladender als sonst.

Die meisten sitzen schon um die gedeckte Tafel herum, nur Amdaziel steht noch vor der Küche und unterhält sich mit Aslagon. Mich bedenkt er mit einem Lächeln, doch bei Elias Anblick verfinstert sich seine Miene schlagartig.

Oh elender Mist, ich habe ganz vergessen, meinen Freund zu warnen, dass ich seine Abstammung ausgeplaudert habe. Scheint, als nähme Amdaziel es Elia immer noch krumm, dass er von seinem verhassten Rivalen David abstammt.

Besorgt schaue ich zu meinem Freund, doch der ist anderweitig beschäftigt und bemerkt Amdaziels Missbilligung nicht. Ich folge Elias Blick und was ich da zu sehen bekomme, lässt mich schwer schlucken.

Die Begrüßung zwischen Liebenden, die sich ohne Worte verstehen, eine wissende Verbindung, die bis in die tiefsten Gründe der Seele hinabreicht. Tiepas blaue Augen strahlen so hell, wie ich es bisher noch nie bei ihr gesehen habe. Dann ist Elia also tatsächlich der Kerl, der sie an sich gebunden hat. Schlechte Karten für mich!

Ein leises Knurren lenkt meine Aufmerksamkeit zu dem schwarzen Hund. Auch Aslagon hat den Blickaustausch bemerkt und mustert Elia mit hochgezogenen Lefzen.

Oh la la, selbst verzauberte Prinzen aus Feuerland erliegen Tiepas Charme. Nun, wenn ich mir die Verlierer-Rolle mit jemandem königlichen Blutes teilen kann, schmeckt sie vielleicht nicht mehr ganz so bitter. Ich meine: Das wertet mich doch irgendwie auf, oder?

Und außerdem ist noch nicht aller Tage Abend. Warum sollte es mir nicht doch noch gelingen, Tiepa von meinen Vorzügen zu überzeugen, nun, da sich ihr der direkte Vergleich zu Elia bietet? Für gewöhnlich laufen mir die Mädchen hinterher, nicht ihm.

Gut gelaunt lache ich der Feuerlandprinzessin zu, die auf Masinas Stuhl Platz genommen hat. In Pluderhose und Bustier zeigt sie reichlich Figur.

Immi winkt mir von der anderen Seite des Tisches freundlich zu. Ich erwidere ihren Gruß und lobe ihre Verkleidungskunst, die sie gestern an mir bewiesen hat. »Mit dem Schal über den Haaren hielt mich Sophutantus glatt für Tiepa!«, erkläre ich grinsend.

Immi strahlt, Amina kichert, nur Tiepa sieht verständnislos von einem zum anderen. Klar, sie war ja auch zusammengebrochen und hat nicht mehr mitbekommen, wie Amdaziel und ich losgezogen sind, um Sophutantus vor dem Meuchelmörder zu warnen.

Da tritt der tibetische Mönch mit seinem Glatzkopf durch Kumkums Tür in die Halle. Der Hohe Priester Mayas! Trotz abgemagerter Gestalt strahlt seine aufrechte Haltung Würde und Autorität aus. Elia kann wirklich stolz sein, diesen Mann seinen Vater nennen zu dürfen.

Zeit, mich vorzustellen.

Ich strecke ihm die Hand entgegen. »Hallo, ich bin Andi, der beste Freund von Elia.«

Siman mustert mich überrascht. »Menschen können Philian nicht betreten«, sagt er schließlich. »Wie bist du hierher gekommen?«

»Durch den Weiher. Sulah hat mich mitgenommen.«

»Sulah?«, haucht Siman erschrocken, stolpert zum nächstbesten Stuhl und lässt sich darauf sinken. Sein Blick geht ins Leere.

Oh Scheiße, was habe ich jetzt schon wieder Falsches gesagt? Die Mayas sind aber auch alle so kompliziert gestrickt.

»Was hast du denn, Siman?«, fragt Tiepa besorgt, steht auf, geht zu ihm hin und legt ihm die Hand auf die Schulter.

Sofort richtet er sich auf. »Nichts.« Doch der Schmerz in seinen Augen straft ihn Lügen. Sein Blick streift erst mich und dann Elia. Eine ungemütliche Stille entsteht, in der man nur die Gedanken von Amdaziel und Aslagon hört, die sich noch immer auf der anderen Seite des Tisches unterhalten.

Mist, Mist, Mist, vielleicht sollte ich die Konversation wieder zum Laufen bringen, bevor auch noch die letzten beiden das Drama mitbekommen, das ich soeben provoziert habe.

»Sag mal Elia«, frage ich über den Tisch hinweg und quetsche mich auf meinen üblichen Platz zwischen Immi und Kirah. »Wie bist du überhaupt nach Feuerland gelangt? Tiepa erwähnte, dass die Pforte geheim gehalten wird.«

»So geheim ist sie nun auch wieder nicht«, antwortet Elia mit einem besorgten Blick zu seinem Vater. »Eigentlich hängt sie sichtbar vor aller Augen über dem Heiligen Platz in Zaliela.«

»Die rosa Sonne?«, haucht Tiepa erschrocken und greift nach Elias Arm. »Du bist doch wohl nicht allein auf den Heiligen Platz gelaufen?«

Elia verdreht die Augen und schaut wieder zu seinem Vater. »Du bist doch auch durch die Sonne nach Feuerland gelangt, oder?«

»Ich wünschte, ich hätte diese Pforte benutzt«, murmelt Siman so leise, dass ich es kaum verstehen kann.

»Dann gibt es mehrere Wege nach Feuerland?«, fragt Elia verwundert.

Die Prinzessin neben ihm merkt auf.

»Keine, die empfehlenswert wären.«

Amina kneift die Augen zusammen. »Soll das etwa heißen, dass die Wasserflut tatsächlich auf dein Eindringen in unsere Welt zurückzuführen ist?«

Siman seufzt nur verhalten.

»So saßt du zu Recht in den Kerkern von NaarQuassr«, zischt Amina böse und springt auf. »Ich hätte dich nie befreien sollen!«

Mit Schrecken stelle ich fest, dass jede Melodie aus ihrer Stimme gewichen ist. Siman sagt nichts, sieht nur zu ihr auf. Plötzlich liegt ein bedrohliches Knistern im Raum.

»Man sollte niemals an einem Strang ziehen, wenn man nicht weiß, welche Folgen das hat«, faucht die Prinzessin.

Ich halte die Luft an. Sie wird Siman jetzt doch nicht etwa angreifen, oder?

»Und diese Weisheit verkündet ausgerechnet die Prinzessin, die das Tor in der Wüste durchschritten hat«, ruft Aslagon, springt und landet mit einem großen Satz hinter Amina.

Die wirbelt herum, sieht ihn wütend an. »Das sagst gerade du – ein ›Aus-Versehen-Hund‹!«

Doch Aslagon hält stand, sieht sie unverwandt aus gelben Hundeaugen an.

Einige Momente dauert das Blickduell an, dann zuckt ein Lächeln um Aminas Mundwinkel. »Du hast gewonnen, wie immer.« Sie seufzt.

»Beginnen wir also mit dem Frühstück«, bellt Aslagon und springt auf den freien Platz neben Elia.

Ich atme auf. Wer hätte gedacht, dass die schöne Prinzessin so wütend werden kann?

Gerade will ich nach den Brezeln greifen, die Elia auf den Tisch gedacht hat, da merke ich, dass etwas nicht stimmt. Amdaziel ist plötzlich stehen geblieben, seine Augen weiten sich ungläubig. Ich blinzle und schaue in dieselbe Richtung, aber da sitzt nur Siman, kein Geist oder so.

»Du bist David«, zischt Amdaziel und kommt drohend näher.

Oh Elend dieser Welt, jetzt ist er doch noch hinter das Geheimnis des doppelten Namens gekommen. Aber diesmal ist es nicht meine Schuld, ich habe Masinas Warnung beherzigt und nichts verraten.

Amdaziels Blick huscht von Elia zu Siman. Die Ähnlichkeit der beiden ist nicht zu übersehen, allein schon die Augen verraten das mühsam gehütete Geheimnis. Niemand sonst im weiten Universum hat solch einen Feuerring um die Pupillen, nur Elia und sein Vater.

»Ich warne dich«, knurrt Amdaziel. »Wenn du –«

»Spar dir deinen Atem, Amdaziel«, fällt ihm Siman unwirsch ins Wort, »ich beabsichtige nichts dergleichen.« Rasch steht er auf, geht um den Tisch herum und setzt sich ganz an das unterste Ende der langen Bank. Die Zwillinge und ich rücken zur Seite, um ihm Platz zu machen.

Doch Amdaziel folgt Siman um den Tisch herum. Erneut knistert die Luft, ich halte den Atem an.

Bisher kannte ich Amdaziel als leidenschaftlichen aber stets bedachten Mann. Jetzt dagegen sieht er aus, als wollte er sich im nächsten Augenblick auf sein Gegenüber stürzen. Was sollen wir dann tun? Abgesehen von den scharfen Zähnen Aslagons hat keiner von uns dem hochgewachsenen, athletischen Mann etwas entgegenzusetzen, ganz zu schweigen von Siman selbst. Die jahrelange Gefangenschaft hat ihn an den Rand des Todes gebracht, er gleicht nur noch einem Gerippe.

Unsichere Blicke fliegen von einem zum anderen. Außer mir scheint niemand zu wissen, was diese plötzlich auflodernde Feindschaft zwischen den beiden Männern zu bedeuten hat.

Schließlich öffnet Siman den Mund. »Stopp!«, sagt er mit solcher Autorität in der Stimme, dass Amdaziel stehen bleibt.

Die Spannung im Raum steigt weiter an, Kirah neben mir zittert.

»Elia ist mein Sohn!«, klingt da Simans Stimme leise und doch deutlich vernehmbar durch den Saal. »Falls du weißt, was ein Sohn für mich als Bewohner dieses Landes bedeutet, Amdaziel.«

Der Angesprochene schwankt leicht. Die Zeit hält den Atem an.

»Und ich bin der Hohe Priester von Maya«, fügt Siman mit einer gewissen Strenge im Tonfall hinzu.

Diese Worte rufen Amdaziel endlich zur Besinnung, er weicht einen Schritt zurück, dann noch einen. Feindselig starrt er Siman an, seine Brust hebt und senkt sich heftig.

»Da gibt es wahrlich Wichtigeres als deine unvernünftigen Ängste, Amdaziel«, spricht Siman und der Feuerring um seine Iris lodert auf. »Lass die Vergangenheit ruhen, wir leben in der Gegenwart.« Damit wendet er sich ab und lässt seinen Blick über uns Versammelte gleiten, die wir ihn alle mit erschrockenen Augen anstarren. »Lasst uns mit dem Essen beginnen.«

Einen Moment steht Amdaziel noch verloren da, dann kehrt er zu seinem Stuhl am Kopfende des Tisches zurück und setzt sich.

Bald sind alle mit Essen beschäftigt und eine leichte Unterhaltung fliegt hin und her. Mir jedoch hängt der Schreck noch in den Knochen, plötzlich meine ich, die Spannung zwischen Mayas und Naarij selbst in Amdaziels tolerantem Haus spüren zu können. So bin ich froh, dass Siman unsere Gedanken kurze Zeit später auf die Probleme lenkt, die wir gemeinsam lösen müssen. Für diejenigen, die noch nichts davon mitbekommen haben, erläutert er kurz die Pläne der Abtrünnigen im Hohen Rat, über die wir dank meiner Lauschaktion unterrichtet sind.

»In der Stadt brodelt es«, fährt Siman fort. »Gestern musste die Große Göttin selbst eingreifen, den Volksauflauf stoppen und Manhig zur Raison rufen. Jetzt versucht er, die Männer wieder unter Sophutantus zu vereinen. Doch der ist spurlos verschwunden und Manhig steht auf verlorenem Posten.«

Nanu, woher weiß Siman, was die Göttin gestern getan hat, oder wie die Mayas auf ihr Eingreifen reagiert haben? Oh, natürlich, heilige Männer beziehen ihre Informationen immer direkt von den Göttern! Mit noch größerem Respekt als bereits zuvor betrachte ich Elias Vater.

In diesem Augenblick beendet Siman seine Rede und es dauert einen Moment, bis mir der Sinn seiner eben verhallten Worte klar wird.

»Was?«, keuche ich und starre ihn entsetzt an. Sicher habe ich mich verhört. Die Männer können den geplanten Putschversuch nicht allen Ernstes auch ohne Manhig durchführen wollen! Niemand kann einen MachschawanGaslan unter Kontrolle halten, die halbe Stadt wäre ausgesaugt, bevor er sich völlig überfressen von dannen trollt.

»Wir müssen diese Wahnsinnigen stoppen!«, rufe ich und fuchtle mit den Armen in der Luft herum.

Um Simans Mundwinkel huscht ein Lächeln. »Keine Sorge. Da Sophutantus aus dem Weg ist, haben sie leichtes Spiel. Jetzt benötigen sie keinen Gedankenräuber mehr, um Zwang auszuüben. Von diesem Part ihres Planes haben sie abgelassen. Nichtsdestotrotz wollen sie die Herrschaft in der Stadt übernehmen«, fährt Siman mit Blick in die Runde fort. »Unser einziger Vorteil ist, dass die Verräter keine Ahnung haben, dass wir über ihre Pläne informiert sind. Zumindest solange ihnen verborgen bleibt, dass Andi noch lebt.«

»Was soll das heißen?«, fragt Elia misstrauisch. »Wer hatte es auf dich abgesehen, Andi?«

Ich zucke mit den Schultern. »Der Hohe Rat. Sie wollten mich den Gedankenräubern vorwerfen. Glaubten wohl, ich sei ein besonders leckerer Bissen für diese Biester.«

»Du hast erneut mit einem MachschawanGaslan kämpfen müssen?«, ruft Tiepa erschrocken. »Warst du deshalb so lange weg?«

»Ja«, entgegne ich grinsend. Soll Elia ruhig mal sehen, dass sie sich um mich genauso viele Sorgen macht wie um ihn. »Und diesmal war es nicht nur einer! Sie sind gleich zu zweit auf mich losgewuselt.«

Tiepa schlägt die Hand vor den Mund.

»Wie bist du ihnen dann entkommen?«, fragt Kirah und sieht mich an, als sei ich der größte Held, der je über die Ebene Mayas gewandelt ist.

»Ganz einfach: Ich bin davongeflogen.«

»Ha, ha«, knurrt Kirah. »Jetzt sag schon, wie hast du sie ausgetrickst?«

»Er ist geflogen, das stimmt schon«, bemerkt Elia und wendet sich seinem Vater zu. »Wusstest du, dass es Andi war, der uns die Strickleiter aus dem fliegenden Käfig auf die Lichtung hat fallen lassen? Wäre er nicht über den Himmel geschippert, säßen wir wohl immer noch dort fest.«

»Oh Andi«, flüstert Tiepa, greift über den Tisch nach meiner Hand und sieht mir dabei so tief in die Augen, dass mir ganz warm wird. »Du hast Elia gerettet, du bist so wundervoll!«

Amdaziel räuspert sich und Tiepa zieht ihren Arm schnell zurück.

Spielverderber!

»Andis Lachen vertreibt die Gedankenräuber«, erklärt Amdaziel nun vage in Richtung Siman. Offensichtlich hat er sich den Tadel zu Herzen genommen und ist jetzt bereit, seine Rolle als Oberhaupt dieses Hauses wieder auszufüllen.

Amina neigt den Kopf skeptisch zur Seite. »Dass es unter den Menschen ebenfalls Tierflüsterer gibt, war mir bisher gar nicht bewusst. Woher wusstest du, dass dein Lachen diese Wirkung zeigen würde, Andi?«

»Ich wusste es nicht«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Eigentlich war es Tiepa, die zuerst gelacht hat, und dann musste ich halt mitlachen.«

»Worüber hat sie denn gelacht?«, will Amina wissen.

»Na ja.« Ich druckse herum und betrachte meinen Teller. »Über mich und meinen Versuch, dem Gedankenräuber etwas vorzusingen.«

Ein schneller Blick über den Tisch verrät mir, dass Tiepa breit grinst.

Amina fängt an zu glucksen. »Du bist einfach zu komisch, Andi, singst dem Viech, das dich fressen will, was vor!«

»Mit den Wuseldingern kann man noch viel mehr nette Dinge machen«, entgegne ich grinsend. »Verstecke spielen zum Beispiel und sie gegen einen Baumstamm rennen lassen.«

»Auf der Ebene gibt es keine Bäume«, wirft Elia ein.

»Normalerweise nicht, wenn ich sie erdenke dagegen schon. Und es war ein prächtiges Exemplar, bevor es der Gedankenräuber ausgesaugt hat. Du weißt schon, Mirahs alte Eiche.«

»Du hast unsere Dorfeiche heraufbeschworen?«, fragt Elia ungläubig.

»Klar, oder was würdest du tun, wenn dich die Biester über die Lichtung jagen und es nirgendwo einen Baum gibt, hinter dem du dich verstecken kannst? Ich habe mich ganz oben hingesetzt und sie ausgelacht. Aber dann sind sie auf eine Größe von zwei Metern angeschwollen und ich musste ganz schnell runter vom Baum.«

Elia schüttelt den Kopf und prustet los: »Klein Andi klettert vor Angst auf den Baum! Wenn ich einmal Bürgermeister von Stockenhausen bin, werde ich veranlassen, dass diese Eiche unter Denkmalschutz gestellt wird. Dann bringe ich ein Schild an, mit der Aufschrift: ›Auf diesem Ast saß einst Andreas Harding, um den Rüsseln der Gedankenräuber zu entkommen‹.« Bei der Vorstellung lacht er sich krumm und scheps.

Ich grinse gutmütig, Siman versteckt sein Schmunzeln hinter der Hand, Tiepa aber sieht von einem zum Anderen und schüttelt den Kopf.

»Menschen eben!«, sagt sie schließlich entschuldigend zu den restlichen Versammelten und hebt die Hände in einer ergebenen Was-kann-man-da-machen-?-Geste.

Das bringt alle erst recht zum Lachen. Amina, Kirah, Immi alle kichern und schütteln sich vor Lachen bis Aslagon bellt und sich Stille über den Raum senkt.

Amdaziel nutzt die Gelegenheit und lenkt unseren Sinn wieder auf die gegenwärtig kritische Lage. »Mittlerweile ist die Stadt von einem Ring an Gedankenräubern eingeschlossen. Niemand kommt mehr unbeschadet in die Stadt hinein oder hinaus. Deshalb ist Masina auch noch nicht zurückgekehrt. Keine Ahnung, wie ich euch wieder aus der Stadt herausbringen soll. Vermutlich muss ich euch in Andis geheimes Haus bringen, bevor der Hohe Rat hier eintrifft, um euch gefangen zu nehmen.«

»Noch sind sie nicht auf dem Weg hierher«, antwortet Siman, »doch unsere Gäste aus Feuerland sollten heute noch öffentlich abreisen, damit wir der Bevölkerung keine Gelegenheit mehr bieten, ihrer Feindseligkeit in Taten Ausdruck zu verleihen. Jeder dahingehende Akt, lässt die Planetenhälften weiter auseinanderdriften und verschärft die Trennung der Energien von Feuer und Wasser. Bereits jetzt herrscht in vielen Fürstentümern von Naarija Wassermangel und im Gegenzug sinkt in Maya die Temperatur. Seit Monaten beobachtet der Hohe Rat mit Sorge den verlangsamten Stoffwechsel der Pflanzen auf der Ebene. Einen weiteren Temperaturabfall werden sie nicht überleben und mit ihnen wird die Wunschkraft Mayas sterben.«

Ein Sturm von Gedanken bricht los, in dem keiner mehr etwas verstehen kann.

Aslagon bellt erneut scharf und alle verstummen. »Immer nur einer darf reden!«, knurrt er, springt mit einem Satz auf den Tisch und schaut in die Runde wie ein Revolutionsführer.

»Als die Große Göttin unseren Planeten gebar, war er eins. Doch Samiela teilte sich in zwei Welten, Maya und Naarija, die sich bald darauf bitter bekämpften.« Er lässt seinen Blick über die Versammelten schweifen. »Wir müssen alles tun, um die Völker miteinander zu versöhnen. Nur so kann Samiela wieder zu dem werden, was es einst war: der schönste Planet Philians!«

»Die Trennung des Planeten in zwei Welten wirst du nicht rückgängig machen können, Aslagon«, erwidert Siman bedächtig. »Aber wir werden die Pforte nach Naarija öffnen und Kontakt pflegen,  Angst und Misstrauen werden schwinden, die Völker werden sich vermischen und eine neue Generation wird entstehen, die in beiden Welten zu Hause ist.«

Niemand sagt mehr ein Wort, Simans Vision spricht für sich, auch wenn sie wie sehr, sehr ferne Zukunftsmusik klingt.

»Was zögern wir also noch länger?«, frage ich. »Lasst uns verschwinden, bevor der Hohe Rat noch auf dumme Gedanken kommt. Warum ziehen wir nicht einfach in die Versunkene Stadt? Da sucht uns niemand.«

»Moment mal, Andi!«, sagt Amdaziel streng. »Du wirst sicher nirgendwohin gehen, schließlich glauben die Verschwörer, du seist tot. Und in diesem Glauben lassen wir sie besser auch.«

»Aber …« Mir fällt die Kinnlade nach unten. »Aber ich trage die Perücke doch gar nicht mehr! Niemand wird mich als Bar Masal erkennen.«

Amdaziel schüttelt den Kopf. »Falls du jetzt auf deine Identität als Andreas Harding setzt, von dem glauben sie, dass er im Sumpf der Schande versunken ist.«

»Das weiß ich, aber –«

»Ihr bleibt alle hier«, verkündet Amdaziel resolut. »Denkt daran, dass die Stadt umzingelt ist, da kommt keiner von euch lebend durch.«

»Wieso nicht?«, frage ich lachend und ziehe meinen neuen Freund aus der Jackentasche. »Solange wir den hier haben, sind wir frei zu gehen, wohin es uns auch immer beliebt.« Zur besseren Betrachtung setze ich den kleinen Schreck auf meine Handfläche und halte ihn in die Höhe.

Verblüffte Gesichter.

»Und wie soll uns die bunte Heuschrecke dabei helfen, den Ring der Gedankenräuber zu durchbrechen?«, erkundigt sich Immi schließlich neugierig.

»Ganz einfach, wir fliegen auf ihr darüber hinweg. Mein Begleiter hier kann sich nämlich in einen riesigen bunten Adler verwandeln.«

»Haha, das kann er nicht!«, ruft Immi. »Wenn wir unsere Tiere in Vögel verwandeln könnten, würden wir alle nur noch durch die Luft reisen und den MachschawanGaslan auf den Kopf spucken.«

»Natürlich kann er sich verwandeln«, rufe ich empört. »Sonst wären wir ja nicht so viel früher hier gewesen, als Elia und Siman mit dem Auto.«

Siman seufzt und verdreht die Augen.

Au Mist, die Sache mit dem Auto hätte ich wohl besser für mich behalten sollen. Glücklicherweise fragt niemand weiter nach, sie streiten sich darüber, ob es in Maya Vögel gibt oder nicht.

»So groß kann ein Adler gar nicht sein, dass ein Mensch auf seinem Rücken fliegen kann«, übertönt Aslagon schließlich das Stimmengewirr. »Oder hat dir der MachschawanGaslan etwa mittlerweile beigebracht, wie auch du deine Körpergröße verändern kannst?«

Ich lache. »Das wäre auch keine schlechte Idee gewesen, nicht wahr kleiner Schreck?«

Die Heuschrecke auf meiner Hand nickt eifrig.

»Allerdings hätte das meinem Freund nicht so viel Spaß gemacht, denke ich mal.«

»Sicherlich nicht!«, piepst mein neuer Weggefährte. »Und wir wären auch nicht so schnell hier angekommen.«

Ben’ahuw und die Zwillinge beugen sich neugierig über den Tisch. Offensichtlich sind sprechende Heuschrecken selbst in Maya nicht weit verbreitet.

Amdaziel reibt sich nachdenklich das Kinn. »Wenn Andi auf einem Vogel hierher geflogen ist, steht uns möglicherweise ein sicheres Transportmittel zur Verfügung. Vorausgesetzt dein kleiner Freund wäre auch bereit, jemand anderen auf seinem Rücken reiten zu lassen.«

»Aber gerne doch, Herr Amdaziel«, piepst die Heuschrecke. »Es wäre mir eine Ehre Eurer Sache zu dienen, über die ich bestens informiert bin. Schließlich konnte ich in Andis Jackentasche alles mit verfolgen.«

»So freuen wir uns, Euch in unsere Reihen aufnehmen zu können«, sagt Amdaziel förmlich.

Sichtbar geschmeichelt reibt die Heuschrecke ihre Sprungbeine aneinander.

»Verratet Ihr uns nun auch noch, wie Ihr heißt?«

»Oh«, zirpt mein neuer Freund aufgeregt. »Nennen Sie mich doch bitte Oh Schreck. Diesen Namen gab mir Andi gestern. Bis dato hatte ich noch keinen eigenen Namen«, fügt er erklärend hinzu.

Amdaziel lächelt. »Dann auf gute Zusammenarbeit, O’Schreck.«

Wir kommen überein, dass die Feuerländer sofort mit der Kutsche abreisen sollen. Öffentlich und für alle sichtbar, damit sich die Gemüter in der Stadt beruhigen. O’Schreck liest sie dann in der Ebene auf und bringt sie sicher in die Versunkene Stadt.

Wir anderen werden folgen, nachdem mein kleiner Freund die Kinder nach Wadaija gebracht hat. Siman befürchtet, dass sich der Hohe Rat der Kinder bemächtigen könnte, um Amdaziel unter Druck zu setzen. Ich teile seine Bedenken, mit dem Hohen Rat ist nicht zu spaßen, immerhin haben sie zwei Mal versucht, mich umzubringen.

Und Tiepa? Die kommt mit uns in die Versunkene Stadt, dazu hat sich Amdaziel glücklicherweise breitschlagen lassen. Klug von ihm, sie würde so oder so gehen. Wenn nicht heute und auf den Flügeln von O’Schreck, dann eben morgen zu Fuß, aber sie wäre uns gefolgt, da bin ich mir sicher.

Dolos – Daimon der Täuschung und des Betrugs

* * *

Die Farben der Leinwand verblassen.

»Bist du endlich fertig mit der Analyse?«, frage ich sofort. »Was kannst du mir nun über Aletheia sagen?«

»Sei still!«, patzt Lintea. »Wenn du mich nicht ständig stören würdest, wäre ich schon längst fertig.«

Stören? In der letzten halben Stunde habe ich keinen Mucks von mir gegeben, aber okay, wenn sie es nicht anders will!

»Ruf mich, wenn du Neues weißt«, sage ich und flitze aus dem Raum.

Eine Viertelsekunde später stehe ich neben meinem Bett. Da liegt meine wunderschöne Göttin und schläft noch immer tief und fest. Ich werfe mich neben sie, schiebe die Decke zur Seite und küsse sie am ganzen Körper. Schließlich trinke ich von ihrer Brust. Es gibt nichts Berauschenderes als die Milch einer angehenden Schöpfergöttin.

Aletheia stöhnt im Schlaf, ich in echt. Nur mit Mühe kann ich mich davon abhalten, mich in ihr zu vergraben. Es wäre so einfach, doch wenn ich meinem Verlangen jetzt nachgebe, verliere ich alles. Um sie wirklich in Besitz zu nehmen, brauche ich mehr, als nur das Ja ihres Körpers.

Missmutig steige ich aus dem Bett. Meine Zeit wird schon noch kommen, ich muss geduldig sein.

Unten im Ballsaal setze ich mich erneut vor die Leinwand. »Und? Bist du jetzt fertig?«

»Ich sage dir Bescheid, wenn es so weit ist. Und jetzt nerv mich nicht länger«, schimpft Lintea.

Auf der Bildfläche erscheint ein herrschaftliches Haus. Einige Stufen führen zur zweiflügeligen Eingangstür. Elias Stimme ertönt.

Aha, Lintea zieht es also vor, mich beschäftigt zu halten. Klug von ihr.