Heike Bicher-Seidel

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»Man flucht viel mehr, wenn man tot ist« von Heike Bicher-Seidel

Titel:

»Man flucht viel mehr, wenn man tot ist«

Autor:

Heike Bicher-Seidel

Genre:

Geheimnisse

Seitenanzahl:

211 Seiten

Erzählperspektive:

Ich-Perspektive, Vergangenheit

Stimmung im Buch:

mysteriös

Charaktere:

Ivy

angepasste junge Frau nach ihrem Autounfall

Jarrik

begabter Maler

Meine Lieblingscharaktere:

Jarrik, weil er seiner eigenen Wahrnehmung traut, obwohl ihn alle für verrückt halten.

Das hat mir besonders gefallen:

Wie Ivy es geschafft hat, sich aus dem Druck der Erwartungen zu befreien. Die Spannung zwischen ihrem Geist-ich und Ihrem Wach-ich zu erleben. Ich kann durchaus verstehen, dass Jarik sich in sie verliebt hat, als er sie erlebte, befreit von allen Fesseln, die man ihr während ihren Lebzeiten angelegt hat.

Diese Gefühle hat das Buch in mir geweckt:

Die Übergriffigkeit von Ivys Freund hat mich entsetzt, dazu die unterschwellige Abwertung, die aus jedem Satz von Ivys Mutter troff. Ich hätte diese unmögliche Frau schütteln mögen, die ihr eigenes Gefühl der Unzulänglichkeit auf Ivy projiziert. Ein stetiger Strom von Gift.

Wie erfrischend dagegen die Liebe von Jarrik, der sie einfach so nimmt, wie sie ist.
Ich war so unglaublich wütend, als sie Jarrik überwältigt und abgeführt haben. Das war mehr als übergriffig und er tat mir so schrecklich leid.

Das kann ich zum Schreibstil sagen:

angenehm zu lesen

Meine Bewertung:

gefährlicher Stalker?

Als Ivy aus dem Koma aufwacht, umarmt sie ein Fremder und freut sich unbändig über ihre Genesung. Er jagt ihr Angst ein und als sich herausstellt, dass er unzählige Bilder von ihr gemalt hat, nimmt das Ganze eine unheimliche Stimmung an. Während sie von ihrer kaltherzigen Mutter wenig Unterstützung bekommt, opfert Jarik seine ganze Zeit, um ihr in der Rehaklinik beizustehen. Schon bald wird ihr der Maler immer vertrauter, doch unterliegt sie da nicht einer gefährlichen Suggestion? Wer ist Jarrik wirklich?

Zitat aus dem Buch:

Zurück auf der Straße fiel mein Blick auf das Schaufenster der Galerie gegenüber. Ein großer, schlanker Mann mit schwarzen Haaren schleppte Gemälde aus einem Lieferwagen ins Innere des Gebäudes. Am Fenster hing ein Plakat.
Jarik Seelmann – Bilder meiner Seele –
Vernissage 15.07.2018
Das war morgen. Da ich sonst nichts zu tun hatte, folgte ich dem Mann in die Ausstellungsräume. Vielleicht war Kunst ein passendes Hobby für mich. Musik wäre auch nicht schlecht. Ich könnte mir all die Bands anhören, deren Konzerte ich schon immer besuchen wollte.
Bei der Aussicht besserte sich meine Laune ein wenig und ich schlenderte durch die drei Räume, in denen bereits einige Bilder hingen. Schön, etwas düster vielleicht, aber interessant.
»Jarik, hast du noch Bilder in deinem Atelier oder sind das hier alle?«, fragte eine Frau in einem roten Kostüm, die die Fünfzig bereits seit längerem hinter sich gelassen hatte, aber immer noch gut aussah. Beneidenswert, dachte ich, beim Blick auf ihre schmale Figur.
»Ich hole den Rest, sobald ich ausgeladen habe«, antwortete der Mann.
»Ah, der Künstler schleppt selbst. Ihre Bilder gefallen mir«, sagte ich zu ihm, obwohl mir klar war, dass er mich nicht hörte.
Er hängte ein Bild direkt vor meiner Nase auf. Der Akt einer Frau, die verliebt lächelte.
»Das ist ihre Freundin, oder?« Ich studierte die Details des Gemäldes.
Er trat ein Stück zurück und betrachtete schweigend das Bild, dann rückte er daran herum, bis es gerade hing.
»So bescheuert verliebt habe ich meinen Freund früher auch angeglotzt. Heute würde ich das aber nicht mehr tun. So kuhäugig schaute ich ihn nur noch an, wenn er vor mir im Staub läge und sich die schmerzenden Eier hielte, nachdem ich meinen Schuh darin versenkt hätte. Am besten so einen Arbeitsschuh mit Stahlkappe«, sinnierte ich.
Er kaute konzentriert auf seiner Unterlippe, dann ging er wieder zum Wagen und holte das nächste Bild. Ich folgte ihm in den Nebenraum und sah zu, wie er das Bild eines leeren Raumes aufhängte.
»Sie sind kein großer Freund von Möbeln, was?«, kommentierte ich. »Aber das Licht, das durch die offene Tür fällt, finde ich gut. Sieht aus, als wäre jemand in ein neues Leben aufgebrochen, und hätte die Leere des alten Lebens hinter sich gelassen. Aber vielleicht interpretiere ich ja auch Quatsch in ihr Bild und Sie hatten nur keinen Fotoapparat zur Hand, als Sie die Mängel in Ihrer neuen Mietwohnung festhalten wollten, damit der Vermieter Ihnen die beim Auszug nicht von der Kaution abzieht. Man soll sowas nämlich immer fotografieren, hat mir mal jemand erklärt, dessen Namen ich nicht mehr aussprechen werde.«
Wieder konzentriertes Unterlippenkauen und Geraderücken des Bildes, dann holte er das letzte Bild aus dem Wagen. Eindeutig der gleiche Raum, jetzt aber mit Möbeln und in einem Nach-der-Party-Zustand.
»Ich würde mich jetzt auch gern so richtig abschießen. Wein, nein Cocktails, das wirkt bei mir besser. Ich hatte gestern echt den beschissensten Tag, den man sich vorstellen kann«, plapperte ich weiter und hatte beinah das Gefühl, das hier wäre eine Unterhaltung. Die Gespräche mit Papa liefen schließlich schon mein Leben lang genauso einseitig ab wie dieses.
»Beate, ich fahre und hole die restlichen Bilder. In zwei Stunden bin ich zurück«, rief er der Frau im roten Kostüm zu und ging zum Auto.
»Was dagegen, wenn ich mitkomme?« Da ich keine Antwort erwartete, schlüpfte ich durch die geschlossene Tür auf den Beifahrersitz.
»Ich war vorhin da drüben in dem Sex-Shop, aber es war absolut enttäuschend. Haben Sie sich so einen Laden schon mal angesehen? Warum gibt es da nur Sachen, die aussehen, als lösten sie sich bei der kleinsten Berührung in ihre Einzelteile auf oder deren Inhaltsstoffe bestimmt so giftig sind, dass man sofort einen fiesen Ausschlag bekommt?« Ich schüttelte mich. »Bei dem Gedanken, wie die Pusteln jucken, meint man ja schon, man müsste sich kratzen.«
Er kaute wieder auf seiner Unterlippe − eine irritierende Angewohnheit.
»Kauen Sie lieber Kaugummi, sonst beißen Sie sich noch die Lippe blutig«, warnte ich ihn.
»Ich bin übrigens Ivy, wie Efeu, und ich bin die beste Kaugummiblasenmacherin der Welt. Ich würde es Ihnen beweisen, aber ich kann leider kein Kaugummi mehr kauen, seit diese blöde Sache gestern passiert ist. Wissen Sie, dass die Unterhaltung mit Ihnen das Angenehmste seit meinem Tod ist? Erst sehe ich meinen zermatschten Körper die Straße vollbluten, dann erfahre ich, dass mich der Mann, dessen Namen ich nicht mehr nennen werde, mit meiner besten Freundin betrügt, obwohl, beste Freundin ist in diesem Zusammenhang wohl nicht mehr die richtige Bezeichnung, und dann höre ich auch noch, wie mein Boss alle meine Ideen als seine eigenen verkauft und mich als Tippse bezeichnet. Mit diesem Tag gewänne ich den ersten Preis im Wettbewerb der beschissensten Tage der Welt.« Ich schnaubte in Gedanken bei all den erschreckenden Erkenntnissen über mein Leben, die mein Tod mir gebracht hatte.
Jarik fuhr in einen Hinterhof und stellte den Wagen ab. Ich stieg mit ihm aus und folgte ihm in sein Atelier. Es war groß, der Fußboden voller Farbkleckse und an den Wänden lehnten Unmengen von Leinwänden. Manche noch weiß, andere bemalt.
»Vergessen Sie die Kaution, so wie der Boden aussieht, bekommen Sie die nicht wieder. Das Bild hätten Sie sich sparen können.«
Jarik schleppte Bilder in seinen Wagen und ich setzte mich auf einen mit Farbe bekleckerten Tisch. Meine Klamotten wurden ja nicht mehr schmutzig. Noch ein Vorteil des Geisterdaseins. Man musste sich die Rosinen am Totsein suchen, da durfte man nicht wählerisch sein.
»Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber ich habe da so ein kleines Problem mit meinen Atomen«, sagte ich, als er ein großes Bild an mir vorbei trug.
Gut sah er aus, mit seinen kurzen, dunklen Haaren, die schwer zu bändigen schienen, und diesen grauen Augen. Vielleicht war er etwas zu dünn und sein Gesichtsausdruck ein wenig zu ernst, aber er war mir definitiv sympathisch.

Das Buch bei Amazon:

Hier findet ihr die Autorin im Netz.

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