High Fantasy zum Träumen

»Wahrheit & Täuschung« Band 2

Sie ist die Göttin der Wahrheit

Er ist der Daimon der Täuschung und des Betrugs

Todfeinde unter einem Dach

Klappentext:

Die Südhälfte ihres Lieblingsplaneten hat Aletheia bereits an den Daimon verloren, jetzt zwingt er sie, um die Nordhälfte zu spielen.

Erneut muss sie beweisen, dass sie die Personen ihres Rettungsplanes besser steuern kann als ihr Gegenspieler.

All ihre Hoffnung ruht dabei auf dem Menschenjungen Elia und seinen hellseherischen Fähigkeiten. Doch Elia ist nicht willig den Helden zu spielen und will nur eines: zurück zur Erde.

Leserstimmen:

»Wie immer sehr sympathisch zu lesen, mit Spannung, Witz und einem Hauch Erotik – rundum ein Genuss!« Isis99
»spannend gehalten, erfrischend, humorvoll und voller Sehnsüchte und Liebe.« st-aniie
»Definitiv mal ein ganz anderes Fantasyerlebnis. Ich bin noch immer total fasziniert« Artemis_25​
»Hat mir sehr gut gefallen. Fast wie in einem Traum, wo alles möglich ist und vieles wahr werden könnte…« TanjaChristmann​
»Dieses Buch bietet so viel Kopfkino und Abenteuer, dass man es einfach nicht aus der Hand legen kann.« Ayumaus​​
»Diese Fantasywelt hat noch keiner gezaubert. Bin immer wieder überrascht.« austrianbookie99

Angebot für Neuleser:

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»Geburt einer Göttin«

den ersten Band der Philian-Reihe. So kannst du dir unverbindlich ein Bild von meinem Schreibstil machen.

Leseprobe

Die Worte des neuen Kontrakts:

»Wir messen unsere Kräfte, während dein Rettungsplan läuft. Wer das Geschehen in seinem Sinne zu steuern vermag, hat gewonnen.

Sollte es dir gelingen, mich auszustechen, fällt Naarija nach Beendigung des Rettungsplanes wieder an dich. Zeige ich mich dagegen als der Bessere, gewinne ich auch noch die zweite Planetenhälfte dazu. Dafür gewährst du mir bleibendes Gastrecht in Kiephos, damit ich das Geschehen orts- und zeitnah verfolgen kann.

In fünf Wochen und drei Tagen kehre ich zurück. Dann erwarte ich, dass du mich höflich in deinem Palast bewirtest.

Dolos, Daimon der Täuschung und des Betrugs

Kapitel 1

Dolos – Daimon der Täuschung und des Betrugs

* * *

»Ha, ich sollte ein Buch darüber schreiben: »Vom Daimon der auszog, ein ganzes Sonnensystem zu erobern!« Vor Übermut schlage ich einen Salto und sause weiter auf die Sonne zu.

Aletheia ist mir voll ins Netz gegangen. Wenn sie sich auch nur die kleinste Chance ausrechnet, durch das neue Abkommen die Planetenhälfte wieder zurückgewinnen zu können, hat sie sich gründlich geirrt.

War es nicht ein Kinderspiel für mich gewesen, Simans Mission scheitern zu lassen und damit Naarija für mich zu gewinnen? Genauso leicht wird es mir fallen, Elia nach meiner Pfeife tanzen zu lassen, wenn er kommt, um Simans Fehler wieder auszubügeln. Aletheias Rettungsplan liegt ganz in meiner Hand. Anstatt ihre geliebte Planetenhälfte zurückzugewinnen, wird die Göttin bald alles an mich verlieren, ihr Planetensystem Philian genauso wie ihre Unabhängigkeit. Wer hätte gedacht, dass alles so einfach werden würde?

Mit einem Lachen werfe ich mich in die Flammen der Sonne. Aletheias Raumwirbel erfasst mich und einen Augenblick später lande ich sicher im Inneren der Sonne.

Hier umweht mich der wunderbare Duft von Schöpferkraft, Aletheias Duft! Ich kann nicht umhin, zunächst einen tiefen Atemzug zu nehmen. Zu lange habe ich diese Kraft nicht mehr geschmeckt und die Ekstase nicht mehr gefühlt, die sie hervorruft, wenn sie durch meine Adern fließt.

Einige Momente stehe ich einfach nur da und berausche mich an dem Duft, dann öffne ich die Augen und lasse meinen Blick über die weite Landschaft schweifen. Alles ist noch genau so, wie bei meinem ersten Spionagestreifzug durch Kiephos. Wiesen mit Obstbäumen, deren Früchte verführerisch zu mir herüber lächeln. Felder mit reifem Getreide, über die der Wind in Wellen sanft hinweg streicht. Waldflächen, die mit dunklem Rauschen grüßen, ein wahrhaft paradiesischer Ort zum Wohnen und ab heute auch mein Zuhause.

»Hallo, geliebte Göttin der Wahrheit«, spreche ich zum Palast auf dem Hügel hin. »Ich komme zu dir und du wirst dich an unsere Vereinbarung halten müssen, auch wenn du mich zweifelsohne lieber in den tiefsten Tartaros verbannen würdest. Ist das nicht wunderbar?«

Dann sause ich los, den schnurgeraden Zufahrtsweg durch die Ebene entlang, an den Wäldern, Obstwiesen und Getreidefeldern vorbei bis zum Fuße des Hügels. Daimonen sind schnell, für den langen Zufahrtsweg von der Pforte bis zum Palast benötige ich gerade mal fünf Sekunden – mitunter ist es doch praktisch, ein Daimon zu sein.

Als ich die Eingangshalle betrete, steht mir noch immer dieses dämliche Grinsen im Gesicht, ich kann es einfach nicht abschalten. Aber warum sollte ich meine Freude über den gelungenen Schachzug auch verbergen? Ich komme als Imperator, der in Besitz nimmt, was er rechtmäßig erworben hat.

Mit einem lauten Knall lasse ich die Eingangstür hinter mir ins Schloss fallen. Nicht, dass Aletheia noch entgeht, dass ich angekommen bin, schließlich soll der Hausservice wissen, dass der neue Hausherr eingetroffen ist.

Passend zur Gelegenheit nehme ich die Gestalt eines Königs an und lasse meinen Blick durch die Halle schweifen. Hier werde ich künftig wohnen: Marmorboden, hohe Wände, stuckverzierte Decken, edles Mobiliar und alles dominierend eine Treppe, die mit goldenem Geländer und dunklem Holzlauf den Blick nach oben lenkt. Auf halber Höhe trennt sie sich und führt dann in edlem Schwung rechts und links zur Galerie hinauf.

Dort oben befinden sich die Schlafräume. Natürlich wird mir Aletheia den bisher leerstehenden rechten Hausflügel zuweisen, aber dort werde ich nicht lange bleiben. Über kurz oder lang werde ich in den linken Palastflügel umziehen, in Aletheias Schlafzimmer. Nun, da mich die Göttin unter ihrem Dach dulden muss, kann ich all meine Verführungskünste einsetzen und sie in mein Bett locken. Wenn sie dann in den Spiegel der Wahrheit schaut, wird Ates Verblendung in tausend Stücke zerspringen und der Weg ist frei für meinen wahren Eroberungszug.

Ich blicke nach oben und durch die gewölbte Glaskuppel direkt in den feuerüberhauchten Himmel. An Licht mangelt es hier wahrlich nicht. Eigentlich erstaunlich, dass dies kein Unbehagen mehr in mir hervorruft. Wesen, die wie ich aus Nacht und Finsternis geboren wurden, scheuen das Licht. Zu recht! Mit Grauen denke ich an die vielen vergeblichen Versuche, mich in einen Sonnenstrahl zu verwandeln. Daran, wie mir das Licht die Haut verbrannte und sie von meinem Fleisch löste, so dass sie nur noch in Fetzen herunterhing. Der Schmerz, der mich lähmte, aber auch die ekstatische Freude, als mir die Metamorphose erstmals gelang. Heute fühle ich mich im Licht fast genauso heimisch wie in der Finsternis. Beste Voraussetzungen, um Aletheia das Herz zu stehlen.

Eine Bewegung lenkt meinen Blick etwas tiefer zur Galerie und mein Lächeln erstarrt. Heilige Bilurikacke, was soll das denn sein?

Soeben erscheint Aletheia auf der Treppe und schreitet die Stufen hinunter, umgeben von einem unförmigen Etwas aus grobem, grauen Leinen. Mir entgleist der Unterkiefer. Nennt sie das etwa ein Kleid? Da habe ich aber ganz andere Exemplare in ihrem Schrank gesehen!

Ich presse die Lippen aufeinander. Ganz schön dreist, mir in ihrer Position derartig gekleidet unter die Augen zu treten! Die Absicht hinter dieser Kleiderwahl erhebt sich zwar über jeden Zweifel, doch an ihrer Stelle würde ich mich lieber nicht dergestalt verärgern. Höfliche und zuvorkommende Bewirtung habe ich mir ausgebeten und sie bietet mir einen solch entstellenden Anblick? Meint sie etwa tatsächlich ihr stümperhaftes Bemühen, sich selbst hässlich zu machen, könnte mich von meinen Zielen abbringen? Pah, da täuscht sie sich aber gewaltig: Ich werde sie in mein Bett locken, egal wie sie sich kleidet.

Davon abgesehen muss ich nicht erst meine Sinne bemühen, um sie zu sehen. Ihr Bild steht mir Tag und Nacht vor Augen und zwar so, wie sie geschaffen worden ist: nackt!

Habe ich ihre Gestalt nicht mit eigenen Händen nachgeformt? Stand mir Thäma, ihr Ebenbild, nicht jahrhundertelang vor Augen? Jede einzelne Rundung ihres Körpers kenne ich und jede Vertiefung. Ich weiß sogar wie es sich anfühlt in ihr zu sein, auch wenn ich noch nie mit ihr geschlafen habe, nur immer mit Thäma, was stets ernüchternd war. Es ist eben nicht dasselbe, mit einer Göttin der Lüge zu schlafen, wenn man stattdessen die Göttin der Wahrheit unter sich spüren könnte.

Was hilft es da, dass mein Geschöpf Aletheia in jeder Kurve ihrer Gestalt gleicht? Thäma fehlt das Strahlen, das die wahre Göttin von innen heraus erfüllt und ihr Duft nach Schöpferkraft. Dunkel ist sie, wo Aletheia Licht ist, Berechnung und Verrat strahlt sie aus, wo Aletheia Wahrhaftigkeit an den Tag legt. Thäma denkt nur an sich, wo Aletheia für diejenigen sorgt, die sie liebt. In der Tat, meine Kopie von Prometheus’’ Meisterwerk ist jämmerlich und führt mir jeden einzelnen Tag ihres verdammten Lebens meine eigene Dummheit vor Augen.

Und genau das hat Prometheus beabsichtigt, als er sie ins Leben rief. Er wollte, dass ich beginne, die Lüge zu hassen, weil ich die Wahrheit nicht bekommen kann. Wenn das kein Beweis von Prometheus’ berechnender Gemeinheit ist, dann weiß ich auch nicht.

Mit gekreuzten Armen vor der Brust sehe ich Aletheia entgegen. Sie will also ihre Schönheit vor mir verbergen, ja? Stümperhafter Versuch kann ich da nur sagen! Wenn sie sich schon hinter grobem Stoff verbergen will, dann hätte sie gefälligst auch ihre Haare bedecken sollen. In welliger Pracht hängen ihr die dunkelblonden Locken bis zum Po hinunter und tanzen im Spiel ihrer anmutigen Bewegungen. Das kann einen Mann schon auf gewisse Gedanken bringen. Tatsächlich ist mir, als spürte ich die Weichheit ihres Haars über meine nackte Haut streichen.

»Wo ist mein Zimmer?«, frage ich mit herrischer Stimme, noch bevor sie ganz zu mir herunter gekommen ist. »Ich benötige eine Hausführung.«

Nun, das ist eine Lüge, immerhin bin ich heute nicht zum ersten Mal in ihrem Palast. Von meinem Spionagegang durch Kiephos weiß Aletheia aber bisher nichts und ich bin auch nicht gewillt, sie darüber in Kenntnis zu setzen. Wie gut dass ich ihr als einziges Lügewesen in Zahurs weitem Universum das Blaue vom Himmel lügen kann, ohne dass sie etwas davon merkt. Zumindest, solange sie mich nicht anfasst, in diesem Fall bin auch ich gezwungen, bei der Wahrheit zu bleiben.

Aletheia schluckt und weist widerwillig auf die Tür links neben mir.

Ha, mein fordernder Ton ärgert sie! Sehr gut, so kann sie sich gleich mal daran gewöhnen, wer hier in Zukunft das Sagen hat. Mit einem vornehmen Kopfnicken trete ich einen Schritt zurück, lasse sie vorbei und bedeute ihr, dass sie vorangehen soll.

Die Göttin wirft mir einen finsteren Blick zu und öffnet die Tür in den Salon. So viel zu ihrem zuvorkommendem Verhalten!

Vor meinen Augen öffnet sich nun ein großer Raum, dessen bodentiefe Fenster einen atemberaubenden Blick in die Weite der Landschaft bieten. Schon bei meinem ersten Besuch in ihrem Palast sind mir die großen Fenster überall aufgefallen. Natürlich würde sich eine Göttin des Lichts niemals eine finstere Burg bauen, doch Aletheia hat ihren Palast auch noch aus einem anderen Grund so offen gestaltet. Auf diese Weise kann sie von jedem Raum an der Vorderseite ihres Palastes den Zugangsweg bis zur Pforte am Horizont einsehen.

Bei ihrem einsamen Stützpunkt am Ende des Universums bietet sich eine solche Sicherungsmaßnahme tatsächlich auch an. So bleibt ihr genügend Zeit, sich auf Besucher vorzubereiten. Es sei denn, es handelt sich dabei um einen Daimon wie mich, der benötigt auch für zehn Kilometer nur ein paar Sekunden. Ich grinse und sehe mich um.

Erstaunlich, letztes Mal sah ihr Salon noch ganz anders aus. Jetzt wirkt der Raum seltsam leer und bescheiden. Nur eine Sitzgruppe aus drei Diwanen befindet sich in der Mitte des Raumes, jeweils mit einer Seitenlehne ausgestattet, so dass man bequem auf ihnen bei Tisch liegen und speisen kann. Ansonsten gibt es nur noch eine Kommode mit zierlichen Füßchen und darüber einen großen Spiegel, in dem sich der Eintretende selbst sieht, mehr nicht. Wo sind die ganzen Kunstgegenstände und Gemälde geblieben? Wo die vielen Vasen?

»Das ist der Salon und gleichzeitig mein Speisesaal«, erklärt mir meine Gastgeberin mit gepresster Stimme und wendet sich schon wieder zum Gehen.

Ich weise in die Ecke rechts. »Und wohin führt diese Tür?«

Da ist keine Tür zu sehen, aber bei meinem letzten Besuch in ihrem Palast war da noch eine gewesen und sie führte in die Küche.

Aletheia wirft mir einen verärgerten Blick zu. »Da geht es zur Küche.«

Dann hat sie den Zugang dorthin also tatsächlich verborgen! Aber wieso? Will sie mich aushungern? Mich zwingen, wieder abzureisen?

Also ehrlich! So gut sollte sie mich mittlerweile doch aber kennen, um zu wissen, dass ich genauso wie sie durch feste Gegenstände hindurchgehen kann. Genau genommen sogar noch besser als sie, schließlich habe ich sie damals aus Zeus’ Käfig geholt, aus dem sie allein nicht mehr entkommen konnte, weil der Göttervater die Stäbe ihre Energiestruktur angepasst und undurchdringlich für sie gestaltet hatte. Vor diesem Hintergrund ist das Ersetzen einer Tür durch ein Stück Wand wirklich kein probates Mittel, um mich von ihren Nahrungsvorräten fernzuhalten.

Nun, ich sollte nicht so streng mit ihr sein. Vermutlich stellt dies das Maximale an Hinterhältigkeit dar, zu dem sie als Göttin der Wahrheit fähig ist. Ich grinse schadenfroh. Stets der Wahrheit verpflichtet zu sein, stellt sie bestimmt mitunter vor unlösbare Probleme, da habe ich es doch sehr viel leichter.

»Und wofür brauchst du eine Küche?«, frage ich interessiert.

Das habe ich mich schon immer gefragt. Schließlich ist sie als Göttin nicht auf Nahrung angewiesen. Davon abgesehen kann sie sich jederzeit Lebensmittel erdenken, warum also, in drei Teufels Namen, sollte sie die Mühe des Kochens auf sich nehmen?

»Ich brauche die Küche nicht«, antwortet Aletheia hochmütig, wirbelt herum und will schon gehen, da fasse ich sie rasch am Arm und halte sie zurück.

»Ich möchte mein zukünftiges Heim kennenlernen, also sollte ich wissen, wie die Küche aussieht, die du nicht brauchst.«

»Bitte«, sagt sie schnippisch und schüttelt meinen Arm ab. »Ich hindere dich nicht daran, hineinzuschauen.«

Hm, um durch die Wand gehen zu können, muss ich in die zweite Dimension wechseln und das will ich vor ihren Augen jetzt nicht tun. Noch kennt sie meine wahre Macht nicht und ich behalte mir diesen Trumpf auch lieber noch etwas im Ärmel.

»Da du dich offensichtlich deiner Küche schämst, werde ich sie mir später allein anschauen. Bitte setze deine Führung fort.«

Aletheia presst die Lippen zusammen und führt mich durch die Eingangshalle zur gegenüberliegenden Tür.

Der Raum ist noch größer als der Salon und erwartungsgemäß mit ebenso großen Fenstern an der Frontseite des Hauses ausgestattet. Kleinere Fenster an der Hausrückseite geben den Blick frei in den Wald, der direkt hinter dem Palast beginnt. Der Marmorboden glänzt im tanzenden Licht der Sonne. Doch der Raum ist völlig leer, unmöglich zu erkennen, welchem Zweck er nun dienen soll. Damals noch nutzte sie ihn für die Ausstellung ihrer Kunstgegenstände, aber heute?

»Der Ballsaal«, sagt Aletheia mit der gelangweilten Stimme einer Dame, die ihre hundertfünfzigste Führung durch ein Schloss veranstaltet.

Ballsaal? Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie jemals vorgehabt haben könnte, die Götter zu einem Ball in ihr Versteck zu laden.

Mein Blick schweift zur gegenüberliegenden Seite des Saales. Hinter diese Tür habe ich damals nicht geschaut.

Aletheia fängt meinen Blick ab, seufzt und schickt sich drein, meiner unausgesprochenen Frage Folge zu leisten.

Als sie die Tür öffnet, verschlägt es mir allen Ernstes die Sprache. Mit offenem Mund betrachte ich Werkbänke, Töpferscheiben, einen riesigen Amboss, den offenen Kamin an der Rückseite des Hauses.

»Was zum Teufel …?«

Unter ihrem verächtlichen Blick klappe ich den Mund wieder zu, drehe mich um und gehe zurück in den Ballsaal. Die Frage, wer dort arbeitet, erübrigt sich, aber warum um alles in der Welt sollte sie sich solchen Tätigkeiten hingeben? Schließlich kann sie doch alles, was sie haben will, einfach mit einem Wink ihrer Hand erschaffen.

Anzunehmen, dass hier Prometheus’ Erbe durchschlägt, der hat seine Schöpferkraft auch immer nur sehr spärlich eingesetzt, um niemanden auf seine Kräfte aufmerksam zu machen. Vielleicht hat er darüber ja Freude an diesen menschlichen Fertigkeiten gewonnen und den diesbezüglichen Ehrgeiz an Aletheia weitergegeben.

Davon abgesehen muss sich die einsame Göttin ja den lieben langen Tag mit irgendetwas beschäftigen, wenn sie nicht vor Langeweile eingehen will, schließlich lebt sie hier seit ewigen Zeiten allein. Wie gut, dass es mit ihrer Langeweile ab sofort vorbei sein wird.

Anstatt sich lustvollen Zerstreuungen zu widmen, wird meine unfreundliche Gastgeberin ihre nächsten Wochen und Monate mit der Verteidigung ihrer Tugend verbringen müssen. Wie eine Löwin wird sie kämpfen und es wird ihr gar nichts nützen. Bisher habe ich noch immer bekommen, was ich begehre, und so wird es auch diesmal sein.

Pech für dich, geliebte Göttin der Wahrheit!

Als ich wieder in die Eingangshalle trete, entdecke ich einen Käfig unter der Treppe und stocke kurz. Meine Füsse Mein Druckmittel, mit dem ich mir die erste Wette von Aletheia erpresst habe. Hinter den Gitterstäben hüpfen meine Geschöpfe wild auf und ab, jedoch ohne ein einziges Geräusch dabei zu verursachen. Offensichtlich hat Aletheia ihnen die Möglichkeit genommen, durch Lärm auf sich aufmerksam zu machen.

Mit einem Wink bringe ich die beiden zum Stehen und werfe meiner Gastgeberin einen fragenden Blick zu. Wieso hat sie meine Kreaturen eingesperrt?

Aletheia jedoch würdigt mich keines Blickes und steigt die breiten Stufen hinauf, als sei nichts geschehen. Auf halber Höhe, dort, wo sich die Treppe trennt, wählt sie den rechten Aufgang und betritt die Galerie unter der Glaskuppel. »Hier oben befinden sich deine Gemächer, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer. Darüber hinaus gibt es einen Raum an der Rückseite des Hauses, den du für deine eigenen Zwecke gestalten kannst.« Sie weist in den abzweigenden Gang linker Hand. »Dies ist dein privater Bereich, ich werde ihn nicht betreten, so wie du meinen Teil des Hauses auf der anderen Seite nicht betreten wirst.« Damit setzt sie sich wieder in Bewegung, umrundet die Halle und verschwindet auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie in dem Gang, der zu ihren Gemächern führt.

Wie putzig! Meint sie allen Ernstes, dass mich diese Anweisung davon abhalten wird, ihren Teil des Palastes aufzusuchen? Ich lache leise und schreite mit wehendem Mantel den mir zugewiesenen Gang entlang.

Bevor Aletheia auch nur den Hauch einer Chance gegen mich erhält, muss sie noch viel über mich lernen. Wie schön, dass ich ihr reichlich Gelegenheit zum Studium meines Charakters bieten werde, genau genommen die ganze Ewigkeit lang, die wir hier gemeinsam leben werden! Zunächst jedoch will ich die mir zugedachten Gemächer inspizieren. Bei meinem letzten Besuch in ihrem Palast waren sie noch leer, ich bin gespannt, wie sie die Räume jetzt eingerichtet hat.

Ein großzügiges Schlafzimmer erwartet mich, als ich die Tür öffne. Wow, hier jedenfalls hat Aletheia bei der Einrichtung nicht mit Luxus und Bequemlichkeit gespart. Ein prächtiges Himmelbett verspricht angenehme Erholung, der ausladende Sessel am Fenster lädt zum Betrachten der Landschaft ein. Schwere Gardinen an den Fenstern ermöglichen es mir, die fortwährende Helligkeit für die Nachtruhe aus meinem Zimmer zu verbannen. Alles, was ich mir nur wünschen könnte, ist vorhanden.

Seltsam, wie passt dieses luxuriös ausgestattete Zimmer zu Aletheias ansonsten so spartanisch eingerichtetem Palast? Ich meine, da nimmt sie selbst jegliche Unbequemlichkeit auf sich, verbannt alles Schöne, um mich möglichst schnell zu vergraulen, und dann das!

Ich werfe mich auf das Bett und wippe ein wenig auf der weichen Unterlage.

Ach so, natürlich, jetzt verstehe ich! Noch so eine kleine hintergründige Maßnahme. Ich grinse von einem Ohr zum anderen und springe wieder aus dem Bett.

Tja, das war wohl nichts, kleine Göttin der Wahrheit! Dieser pfiffige Schachzug wird mich keineswegs von dir fernhalten. Ob gemütlich oder nicht, ich werde diese Räume hier oben nur zum Schlafen aufsuchen. – Und zum Baden, stelle ich mit einem Blick in das pompös ausgestattete Badezimmer fest.

Dann trete ich vor die Tür und gehe den Flur zur Galerie zurück. Scheinbar hat meine kleine Feindin nichts dazugelernt in all der langen Zeit. Ihre Vergraulungsmethoden jedenfalls erscheinen mir recht inadäquat für einen Daimon, der vorhat, lange zu bleiben. Sehr lange sogar … für immer! Ich lache, wechsle die Dimension und folge der Galerie bis zu Aletheias Seite des Palastes.

Und nun, bezaubernde Göttin der Wahrheit, werde ich mir ansehen, was du so gewissenhaft vor mir zu verbergen suchst. Lektion Nummer eins: Verbiete einem Daimon niemals etwas, wenn du ihn nicht dazu verleiten willst, es umso dringender wissen zu wollen.

 

Ein paar Stunden später schmeiße ich mich erneut auf mein Bett und kann mir dabei kaum ein Lachen verbeißen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist mir gerade der Clou des Jahrtausends gelungen. Natürlich habe ich für diese Leinwand meine gesamte geraubte Schöpferkraft aufwenden müssen und ein weiteres Viertel meiner Lebenszeit dazu, aber das Ergebnis ist unbestreitbar genial. Voller Stolz betrachte ich die Leinwand am Fußende meines Bettes.

Ein kleiner Probelauf gefällig? »Zeige mir Tiepa!«

Sofort bemalt sich die weiße Fläche und ein verwuschelter Mädchenkopf erscheint zwischen den Kissen eines Bettes.

Aha, das Mädchen schläft gerade. Nun, dann wollen wir doch einmal sehen, ob meine Leinwand auch in ihren Erinnerungen lesen kann.

»Zeig mir etwas aus ihrem Leben, Lintea, etwas Interessantes, eine Begebenheit, die sie charakterisiert.«

Auf der Leinwand erscheint dasselbe Mädchen nun kämmend vor einem weißen Spiegeltischchen. Ich höre ihre Stimme.

* Tiepa *

Aus dem Spiegel schaut mir mein eigenes Gesicht entgegen. Ich ziehe den Kamm durch mein langes, weißblondes Haar und seufze.

Jedes Mädchen wünscht sich, schön zu sein, doch manchmal erweist sich Schönheit auch als Fluch. Von denen, die mir mit Missgunst und Neid begegnen, versteht das nur keiner.

Heute beim Tanzen zum Beispiel …

Ein Klopfen an der Tür, ich sehe auf. Siman streckt seinen Kopf ins Zimmer. Wilde, braune Locken umtanzen seinen Kopf und die Bartstoppeln lassen sein Gesicht noch bleicher erscheinen als sonst.

»Kann ich dich einen Moment sprechen, Tiepa?«

Wieso? Was will er von mir? Mein Herzschlag beschleunigt sich. Wie immer steigt bei seinem Anblick eine Frage in mir auf. Eine Frage, die ich nicht in Worte fassen kann, deren Antwort aber mein Leben verändern wird, das fühle ich.

Ohne mein Nicken abzuwarten, dreht sich Siman um und geht.

Ich folge ihm durch die Halle.

Was kann er nur von mir wollen? Seit seiner Ankunft vor vier Wochen hat er mich noch nie angesehen, geschweige denn das Wort an mich gerichtet. Für gewöhnlich sitzt er schweigsam und mürrisch an der Tafel meines Vaters. Keines meiner Geschwister wagt ihn auch nur anzusehen, selbst meine Eltern stellen keine Fragen zum Woher und Wohin dieses Gastes, begegnen ihm nur mit ausgesuchter Ehrerbietung und lassen ihm alles zukommen, was er wünscht.

Wieso wendet er sich dann heute ausgerechnet an mich? An mich, eine Jugendliche im Haganah! Für gewöhnlich bekomme ich von Erwachsenen kaum mehr als ein Grußwort zu hören. Jeder hat Angst, er könne mir aus Versehen eine Information zukommen lassen, die ich noch nicht vertrage. Siman teilt diese Sorge offensichtlich nicht. Er will mit mir reden, von allen ausgerechnet mit mir! Vermutlich, weil meine Geschwister in Ohnmacht gefallen wären, wenn Siman sie angesprochen hätte, hegen sie doch heimlich den Verdacht, der Fremde könne gar nicht sprechen. Ziemlich unaufmerksam von ihnen, immerhin ist Siman bereits zwei Mal im Arbeitszimmer meines Vaters gewesen. Zu kurzen Gesprächen nur, aber immerhin.

Leider habe ich trotz angestrengten Lauschens nur Murmeln durch die verschlossene Tür vernehmen können. Sie haben geflüstert, als hätte Siman gewusst, dass ich draußen vor der Tür stehe und lausche.

Stets verschließt er seine Gedanken so tief in sich, dass ich nichts davon vernehmen kann. Auch jetzt kann ich seine Absicht nicht erspüren, obwohl er vor mir hergeht und ich all meine Sinne auf ihn konzentriere. Ein einziges Rätsel ist dieser Mann, undurchschaubar wie der Nachthimmel und geheimnisvoll wie das Einhorn, auf dem er reitet.

Sein Einhorn! Große Göttin, was würde ich dafür geben, einmal auf dieses Wundertier steigen zu dürfen! Bisher habe ich es nur aus der Ferne gesehen, das makellose Weiß des Fells gegen den dunklen Hintergrund der Ebene: ein unerreichbarer Traum und doch …

Simans Stimme durchbricht meine Gedanken. »Sei so lieb und schließe hinter dir die Tür. Was ich dir zu sagen habe, ist nur für dich gedacht, Tiepa.«

Oh, er will mir ein Geheimnis anvertrauen! Mit zitternden Händen komme ich seiner Aufforderung nach und drehe mich zu ihm.

»Ja?«

Ein flüchtiges Lächeln huscht über seine Züge. »Möchtest du nicht erst Platz nehmen?«

Beklommen schleiche ich durch das Zimmer. Diese flammenden Augen! Stets habe ich das Gefühl, er könne damit bis auf den Grund meiner Seele schauen. Im Gegenzug weiß ich nichts über ihn, weder woher er so plötzlich gekommen ist, noch welche Absichten er verfolgt. Und das, obwohl ich ihn auf Schritt und Tritt beschatte. Statt Antworten zu finden, werfen meine Beobachtungen jedoch immer nur neue Fragen auf, es ist frustrierend.

Beim Hinsetzen entdecke ich einen Briefumschlag auf der Tischplatte, adressiert mit einem einzigen Wort und in einer fremden Schrift. Mein Herz macht einen Satz. Endlich ein Hinweis auf die Herkunft des Einhornreiters? Ich versuche, mir den Schriftzug einzuprägen, doch die Buchstaben sind mir völlig fremd. Für wen ist das Schreiben bestimmt?

Siman lehnt an der Wand und mustert mich. »Was weißt du über den verschwundenen Tempel?«

Himmel, wieso fragt er ausgerechnet mich danach? Weiß er etwa von meinen Versuchen diesen zu finden? Wenn er meinem Vater von den geheimen Ausflügen in die Ebene erzählt, werde ich jede Menge Ärger bekommen.

Ich wage nicht aufzusehen, murmle nur zur Tischplatte hin: »Nicht viel, nur dass er sich in der Versunkenen Stadt befindet und dass er der Wohnsitz der Hohen Priesterin gewesen ist.«

Unheilvolle Stille, ich warte auf seinen Tadel, doch er sagt nichts. Was will er mit seinem Schweigen andeuten?

Furchtsam hebe ich den Blick, doch Siman starrt zum Fenster hinaus, gefangen in Gedanken, die ich nicht hören kann.

»Wieso fragt Ihr?«, hauche ich. »Was ist mit dem Tempel?«

Siman wendet sich mir zu. »Der Tempel ist das Herz des Planeten. Wenn es nicht bald wieder anfängt zu schlagen …«

Der Tempel soll wieder aufleben? Bei allen Göttern! Hitze steigt mir in die Wangen. Endlich, endlich wird sich mein langgehegter Traum erfüllen! Schon sehe ich mich selbst durch die Hallen des Tempels schreiten, mit wehendem Gewand und dem priesterlichen Stirnreif auf dem langen Haar, in der Hand eine Schriftrolle.

»… falls ich nicht zurückkomme«, beendet Siman seine Ausführung, stößt sich von der Wand ab und kommt zum Schreibtisch.

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Was hat er gesagt? Mist, ich habe nicht zugehört.

Siman mustert mich. »Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um zu erklären, wie du die Suche nach dem Tempel anstellen willst.«

»Ich?«, piepse ich überrascht. »Aber …«

Verflixt! Was Siman da von mir fordert, kann ich nicht erfüllen. Zu oft schon habe ich nach dem Tempel gesucht und keine einzige Spur von ihm entdecken können.

»Ich glaube nicht, dass ich den Tempel finden kann«, bekenne ich leise und senke den Kopf.

»Natürlich nicht«, entgegnet Siman ungeduldig. »Ich habe dir gesagt, dass er in der Zeitverzerrung feststeckt.«

Oh weh, dann ist es ja kein Wunder, dass niemand den Tempel je gefunden hat. Wer ist schon in der Lage, die Zeit zu durchdringen? Ich jedenfalls nicht.

»Nur Elia kann den Tempel erspüren«, fährt Siman fort, greift nach dem Brief und blickt gedankenverloren auf den Schriftzug. »Behalte die Versunkene Stadt im Auge und nimm Kontakt mit ihm auf, sobald er dort eintrifft.«

Sein Blick streift mich kurz, dann steckt er den Umschlag in die Tasche seiner Toga und wendet sich zum Gehen. »Wenn ihr beide den Standort herausgefunden habt, werdet ihr die Schriften studieren müssen, um einen Weg zu finden, ihn in unsere Zeit zurückzuholen. Du weißt ja, wo du die entsprechenden Bücher findest.«

»Aber …«, stammle ich und fühle, wie mein Mund trocken wird.

»Ihr werdet einen Weg finden«, wiederholt Siman beinahe beschwörend. »Arbeite in der Zwischenzeit an deinen Reifungsübungen und verwende all deine Energie darauf, eine höhere Intuitionsstufe zu erreichen.«

Wenn es das ist, was mir fehlt …! Für mein Alter verfüge ich zwar über eine ungewöhnlich hohe Intuition, aber verglichen mit meiner Mutter weiß ich nichts. Sollte sich Siman also nicht besser an sie wenden?

»Meinst du wirklich, ich würde dich fragen, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, Tiepa? Du stehst dem Tempel näher als Masina, belaste sie nicht mit einer Aufgabe, die sie nicht erfüllen kann.«

Oh, er hat meine Gedanken gehört! Normalerweise lasse ich sie nicht so nah an die Oberfläche steigen, wie unachtsam von mir!

Trotzig ignoriere ich Simans auffordernden Blick und bleibe sitzen. »Dann darf ich nicht über meinen Auftrag reden?«

»Nein, mit niemandem.«

Warum nicht? Wer ist dieser Elia? Was, wenn ich ihn nicht finde? Oder, wenn ich ihm zwar begegne, ihn aber nicht als Elia erkenne?

Diesmal bin ich mir sicher, dass Siman meine Gedanken nicht gehört hat, dennoch kneift er die Augen zusammen, als wüsste er, was mir gerade durch den Kopf geht. »Ich muss dir doch nicht erklären, wie ein Mensch aussieht, Tiepa, oder?«

Ein Mensch ist dieser Elia also. Deshalb wird er in der Versunkenen Stadt landen.

»Besitzt er irgendwelche hervorstechenden Merkmale? Ich meine nur für den Fall, dass mehrere Menschen hier auftauchen.«

»Braune Locken, flammende Augen, so groß wie ich.« Siman öffnet die Tür, wartet darauf, dass ich zu ihm aufschließe, doch ich will das Gespräch noch nicht beenden.

»Was geschieht, wenn wir es nicht schaffen, den Tempel zu befreien?«

Keine Antwort, nur ein kurzes Stocken.

Das habe ich befürchtet! Augenblicklich beginnt mein Herz zu rasen. Ich dämpfe meine Stimme, doch das Zittern darin ist trotzdem zu hören. »Warum kann dieser Mann, woran ich gescheitert bin?«

»Lerne ihn kennen und entdecke sein Geheimnis selbst.« Siman will schon die Tür hinter sich schließen, da springe ich hastig auf.

»Woher weißt du, dass Elia auch wirklich kommen wird?«

Beinahe zornig richtet Siman den Blick auf mich, das Gelb seiner Iris leuchtet auf und lässt mich erbeben. Mir ist, als durchleuchte er meine Vergangenheit genauso wie meine Zukunft.

Ein Schauer durchläuft meinen Körper, dennoch halte ich seinem Blick stand, trotzig, wild entschlossen. Nie zuvor bin ich dem Geheimnis der unbekannten Frage so nahegekommen wie in diesem Moment. Die Antwort liegt zum Greifen nah im Raum, sie befindet sich in Simans Geist, das spüre ich deutlich.

Versuche ich mein Glück! Während Siman in die Zukunft blickt, ist er möglicherweise derart abgelenkt, dass er seine Abschirmung fallen lässt und ich komme an sein verborgenes Wissen heran.

Mit aller Macht versuche ich in Simans Geist einzudringen, doch er verschwindet wortlos durch die Tür.

Verflixt! Rasch eile ich ihm hinterher, hole ihn in der Mitte der Halle ein und fasse ihn am Arm. »Es wird dir doch nichts passieren, Siman?«

Befremdet blickt er auf die Stelle, wo ich ihn berühre und ich ziehe meine Hand hastig zurück. »Wir leben nicht, um uns in Sicherheit zu wiegen, Tiepa, auch du wirst einiges wagen müssen, um deine Bestimmung zu erfüllen.«

Also hat Siman tatsächlich in meine Zukunft geblickt! Mein Herz stockt, um gleich darauf doppelt so schnell zu schlagen. Was hat er gesehen? Werde ich Hohe Priesterin sein? Begierig forsche ich in seinen Augen, da erlischt das Feuer seiner Iris und der gewohnt abweisende Ausdruck tritt in sein Gesicht.

Ernüchtert weiche ich zurück. Von ihm werde ich nichts erfahren, natürlich nicht. Im Grunde genommen spielt es aber auch keine Rolle, so oder so werde ich alles daran setzen, Hohe Priesterin zu werden.

Schon jetzt verbringe ich mehr Zeit im Tempel von Mayami als irgendwo anders und wenn ich erst einmal im verschwundenen Tempel werde tanzen können …

Am liebsten würde ich ja sofort losziehen, um den verschwundenen Tempel zu suchen, doch ich muss auf den angekündigten Mann aus der Menschenwelt warten. Hoffentlich kommt er bald, ich will so schnell wie möglich in den heiligen Tempel. Wir werden ihn finden, aber was soll ich machen, wenn …? Himmel!

»Siman«, rufe ich und warte, bis er stehen bleibt. »Was ist, wenn mir dieser Elia nicht helfen will? Ich bin doch nur ein Mädchen.«

Siman schaut über die Schulter. »Das bereitet dir Sorgen?« Ein spöttisches Lächeln umspielt seine Lippen und erreicht erstmals auch seine Augen, so dass er plötzlich viel freundlicher aussieht als sonst. »Zeige mir den Mann, der dir widerstehen kann, dann werde ich mir darüber Sorgen machen.«

Ich runzle die Stirn, da klopft Siman auch schon an die Tür zum Arbeitszimmer meines Vaters und tritt ein.

Als er kurz darauf wieder in die Halle kommt, stehe ich immer noch an derselben Stelle, doch er eilt aus dem Haus, ohne mich noch einmal anzusehen.

Dolos – Daimon der Täuschung und des Betrugs

* * *

Die Leinwand verblasst.

Ich springe aus dem Bett. Meine Schöpfung funktioniert, jetzt muss ich sie nur noch richtig positionieren und mein Feldzug gegen Aletheia kann beginnen.